Judastöchter
Ziegeln neben einem Kamin bequem gemacht, das elektronische Fernglas baumelte um ihren Hals. Dicke Feuchtigkeitsperlen lagen auf ihren Schultern. Sie saß schon längere Zeit auf ihrem Posten.
Sia drückte sich ab, sprang gegen die Frau, packte sie an den Haaren und schwenkte sie herum. Die Unbekannte baumelte mit den Füßen über dem Abgrund. Leise stöhnte sie und klammerte sich mit allen Fingern an Sias Unterarm fest.
»Ich nehme nicht an, dass Sie die Aussicht genießen wollen. Gehören Sie zu den Wandlern? Wenn ja, zu welchem Tuath?« Sia hatte nicht vor, sich lange mit der Aufpasserin zu befassen. Sie musste sich selbst bald vor dem Taggestirn in Sicherheit bringen.
»Die DeathHounds. Ich gehöre zu den DeathHounds«, stieß die Frau schnell hervor.
»Und was machst du auf dem Dach?«
»Ich schaue, wer den
TeaRoom
betritt, und schieße Fotos mit dem Fernglas.« Sie hörte auf zu zappeln, um nicht zu riskieren, dass sie aus dem Griff rutschte. »Wer sind Sie?«
»Jemand, der seine Privatsphäre sehr mag.« Sia nutzte die Gunst der Stunde. »Wem gehört der
TeaRoom
?«
»Mister Jack Flinn.«
»Und was macht er so?« Sia bemerkte, dass ihre Gefangene erste Anflüge von Mut und Störrigkeit zeigte. »Wirst du den Sturz vom Dach überleben?« Sie senkte den Arm ruckartig, und die Frau kreischte auf. »Ist Flinn einer der Nachtkelten? Und für wen sind die Fotos?«
»Ja, Flinn ist einer von denen«, rief die Unbekannte atemlos vor Furcht. »Wir … die Scharfrichterin möchte wissen, wer da ein und aus geht. Sicherheitshalber, hat sie gesagt. Die Bilder sind für sie.«
Sia schwenkte den Arm herum und stellte die Frau auf den Ziegeln ab, umfasste ihre Kehle mit der anderen Hand; die Fingernägel wuchsen leicht und ritzten sich durch die Haut, bis Blut hervorsickerte.
Ich könnte eine falsche Spur legen.
»Ich habe eine Nachricht für deine Scharfrichterin, wer immer sie sein mag«, sagte Sia mit tieferer Stimme als zuvor. »Ich bin gekommen, um mit den Nachtkelten aufzuräumen. Sie haben mir mein Reich gestohlen, und ich werde nicht eher ruhen, bis ich den Letzten von ihren Sídhe ausgelöscht habe. Sag ihr das. Sollten du, ein Wandler oder sie selbst mir in die Quere kommen, wird es Tote geben. Haltet euch aus meinem Spiel raus, verstanden?« Die Frau nickte, so gut es ging. Sie schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende, Sia dosierte den Sauerstoff, den sie bekam, sehr sparsam. »Gut. Du hast mich verstanden.« Sia ließ sie los und stieß sie rückwärts, damit sie fiel.
Gerade noch so vermochte die Frau, sich am Schornstein festzuklammern, sonst wäre sie ins Rutschen geraten und über die Ziegel nach unten geschossen. »Wer bist …«
»Das tut nichts zur Sache. Ich bin eine betrogene Herrscherin. Mehr musst du nicht wissen.« Sia machte einen Schritt zur Seite und stürzte in die Tiefe. Sie streckte einen Arm aus, die langen, harten Nägel schlugen sich in die Mauer und bremsten ihren Fall. Staub wirbelte auf, kleine Bröckchen fielen klackernd auf den Bordstein; elegant landete Sia und wischte sich die Hände ab.
Das habe ich schon lange nicht mehr getan.
Sie hatte den angeberhaften Abgang bewusst gewählt. Die Wandlerin sollte sehen, dass sie nicht eine dahergelaufene Blutsaugerin war. Dabei achtete sie darauf, dass die Spionin auf dem Dach keine Gelegenheit erhielt, ein Foto von ihrem Gesicht zu schießen.
Mit einem Lächeln rannte sie überschnell die Gasse hinunter, kehrte zum Wagen zurück und fuhr los, raus aus Maghera.
Jetzt haben die Wandler auch was zum Nachdenken und sind verwirrt: ein zurückgekehrter Jäger und eine unbekannte Vampirin. Es geht ab in Irland.
Beim nächsten Bed&Breakfast-Schild, das sie fand, hielt sie an und stürmte ins Haus. Gerade noch rechtzeitig bezog sie ihr nettes Zimmer und ließ die Rollläden herab. Das Sonnenlicht sandte ihr Strahlen zum Gruß in den Raum, bevor sich die Lamellen schlossen und Dunkelheit herrschte.
Sia fühlte sich wohler und baute das Netbook auf, um die Fakten über die Panther nachzulesen; danach rief sie bei Eric an und erklärte ihm, was schiefgelaufen war, welche Behauptungen sie gegenüber den Wandlern aufgestellt hatte und dass sie ihn als Rückendeckung brauchte, wenn sie die Schließfächer in Londonderry knacken wollte.
Er hörte ihr zu, danach berichtete er, was er alles herausgefunden hatte und dass sie einen Ansatz hatten, um nach konkreten Spuren der Sídhe zu suchen. »Es ist gut, dass du dich als Feindin der Vampire
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