Judastöchter
Keller. Wasser. Ich bin unter der Erde. Durst. Schrecklicher Durst.
Tropf …
Sia wird mich niemals finden. Die Sídhe haben an alles gedacht! Mit meiner aufgezeichneten Stimme können sie jeden Satz formulieren, den sie von mir haben möchten, um Sia zu täuschen. Und ich Idiotin glaube Alice auch noch! Diese … Schweine!
Tropf …
Elena! Wie geht es meinem Mädchen? Wohin ist sie gebracht worden? … dieser Durst, es ist zum Verrücktwerden. Von Wasser umgeben, ich höre es doch tropfen, und kann mich nicht bewegen.
Tropf …
Das ist die Lösung! Ich muss sterben! Natürlich, wenn ich sterbe, verwandle ich mich in eine Judastochter! Oder …?
Tropf …
Es gibt keine Garantie, dass ich mich in eine Vampirin wandle, aber Sia hat erzählt, dass sehr viele ihrer Nachfahren zu Blutsaugern geworden sind. Ich sterbe doch so oder so …
Tropf …
Oder … könnte es sein, dass ich zu einer Vampirin werde, die weiterhin gelähmt ist? Mein Gott, das wäre schrecklich! Damit hätte ich nichts gewonnen! Gar nichts!
Tropf …
Nein, das wird nicht geschehen! Ich bin sicher, dass ich mich als Vampirin wieder normal bewegen kann! Es ist meine einzige Chance, Sia vor den Plänen und dem Verrat der Sídhe zu warnen. Alice werde ich persönlich umbringen, und bei Grag wird es mir Spaß machen! Oh ja, ich spüre, dass ich zu einer Judastochter werde! Dann kann ich Elena retten! Elena, mein armes Kind.
Tropf …
Wie lange lebt ein Mensch, ohne Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Waren es … drei Tage? Das werden sehr lange drei Tage. Ich muss mein Sterben beschleunigen! Den Kopf gegen die Wand schlagen, mir die Adern aufritzen … aber ich kann mich immer noch nicht richtig bewegen.
Tropf …
Ich muss versuchen, wenigstens die Hand so weit biegen zu können, dass ich mir die Pulsader aufreiben kann. Ich schaffe es! Es geht um Elena und Sia! Schmerzen spielen keine Rolle …
3. Februar, Deutschland,
Berlin, Gesundbrunnen, 13.14 Uhr
Wilson sah Elena vor einem türkischen Obstladen stehen und auf die Auslagen deuten. Ihr Finger wies auf einen Anhänger in Augenform; neben ihr wartete der Verkäufer. Sie schienen ins Geschäft gekommen zu sein. Weil er im Gegensatz zu Black aus der Menge ragte, hatte das Mädchen die Killerin nicht gesehen.
Wie kommt sie darauf, Schmuck haben zu wollen?
Er schluckte jeglichen Vorwurf runter und eilte los. »Warte, ich bin gleich bei dir.« Mehr als zwanzig Meter waren es nicht bis zu ihr.
Aber Black blieb an seiner Seite und bahnte sich ebenso einen Weg auf Elena zu, redete dabei weiter ins Handy.
»Zum letzten Mal, Miss Black: Ich arbeite allein«, sagte er angespannt. »Denken Sie an Ihren verletzten Handlanger. Sie wissen, dass ich mir Ihre Einmischung nicht gefallen lasse.«
»Ich denke die ganze Zeit an ihn«, gab sie knurrend zurück. Sie sah sich ihrem Ziel, Elena in die Finger zu bekommen, bereits sehr nahe. »Gut für mich, dass es keine Rolltreppen gibt, von denen Sie mich prügeln können.«
Zehn Meter.
Elena bemerkte, dass er nicht alleine erschienen war, und bewegte sich langsam rückwärts. Der Händler sah sie verwundert an.
»Wie man’s nimmt.« Wilson versetzte ihr unvermittelt einen Stoß, der sie nach links auf die Fahrbahn taumeln ließ – lautes Hupen erklang, und ein Gelenkbus erfasste die Frau mit vollen fünfzig Stundenkilometern; in das Kreischen der Bremsen mischten sich entsetzte Aufschreie aus mehreren Kehlen.
Eine Rolltreppe wäre vermutlich besser gewesen.
Wilson rannte zu Elena und packte ihr Handgelenk, lief los und bog sofort ab. Keine hundert Meter von ihnen tauchte das Zeichen für die U-Bahn auf. Da unten würden sie schnell Land vor ihren Verfolgern gewinnen. Blacks Team musste sich erst mal um ihre Anführerin kümmern und sie aus dem Kühlergrill kratzen.
»Du hast die Frau vor den Bus geworfen!« Elena sah ihn an, als erwarte sie auf der Stelle eine umfassende Erklärung. »Wer war das?«
»Eine Killerin. Sie hat es auf dich abgesehen.« Er zog sie die Stufen hinab, sie verschwanden in der künstlich geschaffenen U-Bahn-Höhle. Außer ihnen befanden sich bestimmt hundert Menschen in den Räumlichkeiten.
Im besten Fall ist Black tot.
Rasch zog Wilson eine Fahrkarte für sie beide. Entspannen würde er sich erst, wenn sie Berlin verlassen hatten. »Sag mal«, er sah Elena fest in die Augen, »wie kommst du dazu, dich einfach davonzustehlen?«
Sie hob die Achseln. »Hatte ich gar nicht vor. Ich wollte vorgehen und schauen, ob
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