Judaswiege: Thriller
eBay?«
»Nein, auf einem Wochenflohmarkt in der Stadt.«
Klara fluchte leise. Sam hob mahnend die Augenbrauen und wandte sich wieder an Mrs. Hill: »Okay, Mrs. Hill. War Ihr Mann damit oft im Internet unterwegs?«
Die rotgeränderten Augen der Frau sprachen Bände. Von durchwachten Nächten im einsamen Ehebett, von unbeantworteten Fragen nach dem Warum. Ihr stummes Nicken bestätigte Sams Verdacht.
»War Ihr Mann gewalttätig, Mrs. Hill? Hat er Sie oder die Kinder jemals geschlagen oder misshandelt?«
Sie schüttelte den Kopf. Sam war sich jetzt beinahe sicher, dass die hagere Frau mit dem traurigen Gesicht einen Serienmörder zum Ehemann hatte. Aber er brauchte Gewissheit. Die sie ihm nicht würde liefern können, zu eng war ihre eigene Geschichte mit der seinen verknüpft. Ihm blieb nur ein letzter Ausweg, auch wenn der ein hohes Risiko bedeutete.
»Mrs. Hill, ich würde gerne mit Ihren Kindern reden, wenn das möglich ist.«
Sie sah ihn ängstlich an.
»Keine Sorge, es geht nur um ein paar harmlose Fragen«, beruhigte sie Sam.
»Judy? Andre? Kommt ihr bitte mal?«
Sam fuhr es eiskalt den Rücken hinunter. Beinah panisch versuchte er, Klara zu verstehen zu geben, dass sie kurz davor waren, aber sie schien es nicht bemerkt zu haben. Judy und Andre. Judas und Andrej.
Judy und Andre liefen auf ihre Mutter zu und blieben mit fragendem Blick vor ihr stehen. Sie streichelte ihnen über die Köpfe und drehte sie zu Sam herum.
»Der Herr vom FBI hat ein paar Fragen an euch«, kündigte sie an.
Sam lächelte.
»Bist du wirklich vom FBI?«, fragte Andre. Judy, ein schüchternes Mädchen, stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor ihm und blickte zu Boden.
»Sagt mal«, begann Sam so sanft wie möglich. »Euer Papa, der hat doch früher bestimmt viel mit euch unternommen, oder?«
Das Mädchen zuckte mit den Achseln, aber der Junge nickte begeistert: »Ja, an den Wochenenden schon.«
»Und was war das Tollste, was ihr unternommen habt?«
»Die Kanufahrt«, rief das Mädchen.
»Nein, Disneyland!«, quakte Andre dazwischen.
Da Sam beide Antworten nicht wirklich interessierten, lächelte er nur und sagte: »Das sind sicher beides ganz tolle Tage gewesen. Und was hat euch nicht so gut gefallen? Da gab es doch bestimmt auch oft Sachen, die ihr machen musstet, oder nicht?«
Die ältere Judy starrte ihren Bruder an, als wolle sie ihm verbieten, etwas zu sagen. Jetzt war Sam interessiert. Er wandte sich an das schwächere Glied der Kette und beruhigte den Jungen: »Ihr solltet wirklich alles sagen, was ihr denkt, wisst ihr? Dem FBI muss man immer alles sagen, und es erfährt auch sonst niemand davon … außer vielleicht der liebe Gott«, fügte Sam hinzu, der unter der Bluse der Mutter ein kleines Kreuz bemerkt hatte. Außerdem stand eine Marienfigur auf dem Sims im Wohnzimmer.
Der Junge schien zu überlegen und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Dann sah er seine Schwester an, aber Sam unterband das, indem er sich räusperte. Als sich der Junge wieder auf ihn konzentrierte, sah er ihn fragend an.
»Na ja«, ein Seitenblick zur Schwester, die frustriert seufzte, »mir haben die Mutproben nicht so gefallen.«
»Welche Mutproben?«, fragte Sam so beiläufig wie möglich. Er wusste jetzt, dass er auf der richtigen Spur war.
»Manchmal mussten wir mit ihm zu seiner alten Firma fahren, wo er früher Hausmeister war. Da ist es gruselig, weil alles verlassen ist seitdem. Und dann wollte er, dass wir die Mäuse totschlagen. Weil sie eine Plage sind, hat er gesagt …«
Sam konnte jetzt auf die Psyche der Kinder keine Rücksicht mehr nehmen. Er würde dafür sorgen, dass die Schuldner der Familie einen Zahlungsaufschub gewährten und dass sich jemand um die Kleinen kümmerte, der davon etwas verstand. Er sprang auf.
»Wo ist diese Firma?«
»Keine Ahnung«, sagte die Frau. »Wir haben nie über seine Arbeit gesprochen. Er war da immer sehr schweigsam.«
»Reston Pharma Services«, verkündete der Junge stolz. »Das stand über dem Eingang.«
Sam sprang auf: »Danke, mein Junge, du hast uns sehr geholfen.« Klara war schon auf dem Weg zum Auto.
»Wir melden uns bei Ihnen, Mrs. Hill.«
Die junge Familie stand verloren im Eingang ihres kleinen Hauses und blickte hinter ihnen her, als Klara mit quietschenden Reifen wendete.
»Was war mit den Namen, Sam?«, fragte Klara, während sein Mobiltelefon die Zentrale wählte.
»Judy für Judas und Andre für Andrej Chikatilo.
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