Judaswiege: Thriller
blieb beinahe das Herz stehen, seine Stimme war so laut, als brüllte er direkt in ihr Ohr. »Das musst du dir ansehen, die Schlampe ist im Fernsehen!«
Tammy hörte langsame Schritte. Von rechts. Noch ein Zimmer, es waren zwei Zimmer. Und das FBI suchte nach ihr, vielleicht konnte sie doch noch entkommen.
»Was für eine Schlampe?«, fragte der Ältere der Entführer mit der kalten Stimme. Der, der nach Beef Jerky stank. Die Schritte liefen jetzt direkt auf der anderen Seite der Tür vorbei. Kein Meter lag zwischen Tammy und dem Mann. Er blieb stehen, als überlege er, kurz nach ihr zu sehen.
»Komm schon, sie reden über dich«, die Stimme des Jungen war jetzt eindringlicher. Die Schritte liefen weiter. Tammy atmete aus.
»… mittlerweile vollkommen außer Kontrolle geraten …« Eine Frauenstimme, nicht die Reporterin. Eine angenehme, selbstbewusste Stimme. Diese Stimme würde sie retten, oder nicht?
»Siehst du, sie reden über dich«, sagte der Junge.
»Halt die Klappe!«, herrschte der Ältere. Tammys Herz machte einen Satz, er war bisher immer der Ruhige gewesen. Der, dem man nichts wirklich Schlimmes zutraute. Ein Mann von nebenan, er sah aus wie ihr Nachbar: spießig, korrekt, nur irgendwie unheimlicher. Wegen seiner Augen. Im Fernsehen redete immer noch die Stimme, die sie retten würde.
»… eine Familie hat, die er vor etwa vier Jahren verlassen haben muss. Wenn Sie eine Frau sind, deren Mann Sie vor vier Jahren verließ und der in den Jahren davor auffällige Verhaltensmuster gezeigt hat, bitte melden Sie sich bei …«
Draußen wurde der Fernseher umgeschmissen, die Bildröhre zerbrach mit einem lauten Scheppern, und der Ton war auf einmal weg. Dann hämmerte eine Faust von außen gegen die Tür, hinter der Tammy saß, was sie beinahe umgebracht hätte. Ihr Herz stockte, entschloss sich dann aber doch, weiterzuschlagen. Panik stieg in ihr auf. Bitte, bitte, das nicht auch noch, dachte Tammy. Du hast gesagt, es dauert noch. Was immer das ist, bitte lass es noch ein bisschen dauern. Gib ihm nicht nach, ihm, dem sie alles zutraute.
»Diese elende FBI-Drecksau!«, schrie der Spießer. Wieder drei Schläge gegen die Tür. Tammy hielt den Atem an.
»Hey, Mann, das ist doch kein Problem. Sie haben keine Ahnung. Sie stochern im Nebel.«
Auf einmal herrschte Stille. Totenstille. Tammy hörte nur noch ihren eigenen Atem und ein Schnaufen. Er stand immer noch vor der Tür. Dann sprach der Mann, der eben noch ausgerastet war, so leise, dass Tammy ihn kaum verstehen konnte.
»Das hätten sie nicht tun dürfen. Das nicht. Nicht meine Familie.«
Wieder Stille. Das Schnaufen wurde leiser. Seine Stimme war jetzt kaum noch ein Flüstern: »Ich brauche einen Plan. Einen verdammt guten Plan.«
Dann stapfte er aus dem Raum.
»Und was wird mit der Kleinen?«, fragte der Junge.
»Die ist nicht mehr wichtig«, antwortete die Stimme aus dem Zimmer auf der rechten Seite.
»Aber …«, protestierte der andere.
»Ach, mach meinetwegen mit ihr, was du willst«, kam zurück. Tammy wurde schlecht. So schnell es die Vorsicht erlaubte, krabbelte sie zurück in ihre Ecke und schlang die Arme um die Beine. Sie musste zurück auf die Wiese. Bevor der Junge kam. Sie drückte sich so fest sie konnte in die Ecke und wiegte vor und zurück, wie im Wind auf einer schönen Maiwiese. Die Stimme würde sie auf diese Maiwiese begleiten, oder nicht?
K APITEL 31
Oktober 2011
Omaha, Nebraska
Vier Tage nachdem ihr Fernsehaufruf zum ersten Mal gesendet worden war, standen Klara und Sam vor einem äußerst gepflegten, wenn auch kleinen weißen Holzhaus in der Camden Street, das inmitten lauter Zwillingsbauten auf einer winzigen, fast quadratischen Parzelle stand. Der Rasen war frisch gemäht.
»Und du bist sicher, dass sie echt ist?«, fragte Klara, die von Anfang an am Sinn ihres Fernsehauftritts gezweifelt hatte, auch wenn sie sich das dem Team gegenüber niemals hätte anmerken lassen.
»Sie hat alle Vorabtests bestanden, Sissi«, antwortete Sam. »Ich bin mir sicher, dass wir es uns nicht leisten konnten, sie zu ignorieren.« Sam blätterte durch die Briefe, die zusammen mit einer Zeitung aus dem Postkasten ragten. »Außerdem sind wir jetzt schon einmal da, also können wir auch mit ihr reden.« Er läutete. Sie wurden erwartet. Die Frau, die ihnen die Tür öffnete, sah ausgemergelt aus. Ihre Augen waren verweint, und sie hielt einen etwa sechsjährigen Jungen auf dem Arm, der viel zu schwer dafür war. Er
Weitere Kostenlose Bücher