Judaswiege: Thriller
protestierte mit einem Plastiklastwagen, den er gegen ihre Schulter schlug.
»Guten Tag, Miss Hill, ich bin Special Agent Sam Burke«, er deutete auf Klara, »und das ist meine Kollegin Klara Swell. Dürfen wir hereinkommen?«
Bei Klaras Anblick erhellte sich ihre Miene. Typisch, dachte Sam, das war bei Menschen, die sie aus dem Fernsehen kannten, fast immer so. Sie wurde automatisch als alte Bekannte eingestuft, obwohl ihr Gegenüber sie noch nie zuvor gesehen hatte. Frau Hill reichte Klara zuerst die Hand: »Natürlich. Ich bin Rebecca Hill.«
»Darf ich Ihnen ein Glas Wasser anbieten oder einen Orangensaft?«, fragte sie, nachdem Klara und Sam am Küchentisch Platz genommen hatten.
»Gerne einen Orangensaft«, bat Sam.
»Für mich ein Wasser, das wäre toll«, antwortete Klara. Mrs. Hill setzte den Jungen auf dem Boden ab, der, den Lastwagen vor sich herschiebend, im Wohnzimmer verschwand. Sam blickte ihm gedankenverloren hinterher und musterte dabei möglichst unauffällig die Inneneinrichtung. Der Familie Hill ging es nicht besonders gut. Und obwohl die Häuser in dieser Gegend nicht mehr als fünfzigtausend Dollar kosteten, wartete Post vom Gerichtsvollzieher auf sie. Vermutlich konnte sie die Raten nicht mehr begleichen, und seit ihr Mann sie verlassen hatte, wuchsen ihr die Kindererziehung und der Haushalt über den Kopf.
Sam blickte zu Klara hinüber, die ungeduldig wirkte. Er warf ihr einen tadelnden Blick zu. Wenn sie herausfinden wollten, ob die Hills ihre Kandidaten waren, brauchten sie Zeit, auch wenn sie die nicht hatten. Tammy war jetzt seit über einer Woche in der Gewalt des Täters, oder der Täter, dachte Sam grimmig. Sie hatten nicht mehr viel Zeit – sofern sie überhaupt noch am Leben war.
Mrs. Hill unterbrach mit den beiden Gläsern seine Gedanken. Sie legte kleine gehäkelte Deckchen bereit, bevor sie ihre Getränke auf dem laminierten Holztisch abstellte. Ein pedantischer Freak, dachte Sam. War dein Ehemann ein pedantischer Freak? Für diese Frage war es eindeutig zu früh.
»Wieso haben Sie uns angerufen, Mrs. Hill?«, fragte Sam.
Rebecca Hill antwortete Klara statt ihm: »Wegen Ihres Aufrufs.«
»Sie glauben, dass Ihr Mann etwas damit zu tun haben könnte?«, erkundigte sich Klara für ihn. Sie hatte recht, es hatte wenig Sinn, dass er versuchte, das Gespräch mit Gewalt an sich zu reißen.
Rebecca Hill nickte stumm.
»Und wieso glauben Sie das, Mrs. Hill?«, bohrte Klara nach.
»Weil er … also, auf Ihrer Internetseite stand, dass man sich melden soll, wenn er sich in den Jahren vor seinem Verschwinden seltsam verhalten hat, wenn er lange im Internet gesurft hat, wenn er oft über Wochen unterwegs war …«
»Mrs. Hill«, unterbrach sie Sam. »Warum erzählen Sie uns nicht alles der Reihe nach? Okay?«
Wieder ein stummes Nicken.
»Wann hat Ihr Mann angefangen, sich ungewöhnlich zu verhalten?«
Rebecca Hill kämpfte mit den Tränen: »Angefangen hat es vor etwa sechs Jahren …«
Ein Jahr nach dem Mord an Jessica von Bingen. Das passte ins Bild. Sam war schon immer davon ausgegangen, dass der erste Mord eine Art Test für ihn gewesen war, deshalb hatte er auch weit weg auf Maui getötet und noch nicht in unmittelbarer Nähe seiner Familie.
»… er hatte sich verändert. In dem Sommer wurde er abweisend. Mir gegenüber, aber auch den Kindern. Ich glaube, es hat mit diesem Urlaub zu tun. Im Jahr davor war er das erste Mal alleine in Urlaub gefahren, er hatte gesagt, er brauche Abstand. Zum Fischen in die Berge, er hatte sich dort eine Hütte gemietet und blieb sechs Wochen. Ohne Telefon, ohne alles. Und im Jahr darauf fing alles an, den Bach runterzugehen«, schluchzte Rebecca. Klara bot ihr ein Taschentuch an, das sie dankbar annahm und sich damit schnäuzte.
»Im Sommer 2005 nahm er einen neuen Job an, als Fernfahrer. Er sagte, es ginge nicht anders, seine alte Firma hätte geschlossen. Er hat nie gerne darüber geredet, und ich habe ihn in Ruhe gelassen. Das habe ich schon immer. Es war besser so. Aber die vielen Reisen entfernten ihn noch mehr von uns. Er war wochenlang unterwegs, ist aber immer zurückgekommen. Anfangs dachte ich noch, es ginge vorbei. Als mir klarwurde, dass es so nicht weiterging, verließ er mich. Das war vor vier Jahren.«
»Hatte Ihr Mann einen Computer, Miss Hill?«
»Ja. Im Arbeitszimmer«, sagte die Frau.
»Können wir uns den mal ansehen?«, fragte Klara.
»Nein, leider nicht. Ich habe ihn verkauft.«
»Bei
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