Judaswiege: Thriller
Klingelts?«
Andrej Chikatilo war einer der grausamsten Serienmörder der Welt. Er hatte in Russland zwischen 1978 und 1990 über fünfzig Menschen ermordet. Und die Polizei hatte zwölf Jahre gebraucht, ihn zu fassen. Aber so viel Zeit hast du nicht, dachte Sam, du nicht, und wartete auf das Läuten des Telefons.
K APITEL 32
Oktober 2011
Papillion, Nebraska
Rascal Hill saß kerzengerade auf einem kantigen Holzstuhl und tüftelte an einem neuen Plan. Obwohl er sich wieder unter Kontrolle hatte, konnte er an dem Druck, den er mit dem Stift auf das karierte Papier ausübte, erkennen, dass seine Wut noch nicht verflogen war. Er zerknüllte das oberste Blatt und fing von Neuem an. Sie hatte die Pressekonferenz in New York gegeben. Wohnte sie auch dort? Er malte ein Fragezeichen neben die Ortsangabe. Verdammt, er musste sich konzentrieren. Ausgerechnet in diesem Moment platzte Hellbuoy herein.
»Wie geht es jetzt weiter, Jude? Ich meine, was hast du vor?«
Rascal überlegte einen Moment. Ja, was wollte er eigentlich machen? Er wusste, dass er sie hasste. Sie und das FBI.
»Ich werde sie vernichten«, stellte er mit ruhiger Stimme fest. »Sie wird sterben, dafür, dass sie meine Familie in die Sache mit reingezogen hat.«
»Okay. Das verstehe ich.«
»Wirst du mir dabei helfen?«, fragte er vorsichtig. Er durfte den Jungen nicht überfordern.
Hellbuoy nickte: »Natürlich. Und was machen wir mit ihr?« Er deutete Richtung Tür, hinter der Tammy Walker auf ihr unausweichliches Schicksal wartete.
»Sie ist erst mal nicht wichtig, um sie können wir uns später noch kümmern. Erst muss diese Frau weg. Oder hältst du es nicht mehr aus?«
Hellbuoy knackte mit den Gelenken seiner Finger. »Doch, schon, es ist nur …«
Das Klingeln eines Handys unterbrach sein Geständnis. Rascal erschrak heftig, dieses Handy dürfte nicht klingeln. Es lag seit Jahren in der Schublade des Schreibtisches, und obwohl er es jeden Tag auflud, hatte er seit mehr als vier Jahren kein Gespräch mehr damit geführt. Mit zitternden Fingern öffnete er die Schublade und hob es ans Ohr.
»Hallo?«, sagte er leise.
»Ich bin es, Rascal«, sagte eine vom Weinen brüchige Stimme. »Ich bin es, Rebecca.«
»Hallo, Rebecca, schön, dass du anrufst«, sagte er mit seltsam veränderter Stimme. »Wie geht es den Kindern?«
»Rascal, ich muss einfach wissen, ob da etwas dran ist. Die Polizei war eben bei mir. Sie glauben, dass du ganz schreckliche Dinge getan hast.« Sie redete wie ein Wasserfall. Er ballte krampfhaft die Fäuste, sodass seine Nägel in die weiche Haut der Handinnenflächen schnitten. »Bitte, Rascal, sag mir, dass das nicht wahr ist. Du bist kein Mörder, oder, Rascal?«
»Nein, Rebecca, natürlich nicht. Da muss ein schreckliches Missverständnis vorliegen.«
Sie weinte noch heftiger als zuvor. Glaubte sie ihm? Nein, sicher noch nicht. So einfach war es nicht. Seine Wut auf Klara Swell schwoll weiter an. Hass, blanker Hass. Sie hatten ihn vor seiner Familie verunglimpft. Vor seiner eigenen Familie. Das durfte niemand, nicht einmal das FBI. Aber natürlich taten sie es, weil sie nichts davon verstanden. Nichts. Fuck you, Klara Swell. Rebecca schluchzte.
»Du musst mir glauben, Rebecca. Weißt du noch, als wir bei der Kajaktour den Himmel angeschaut haben und ich dir gesagt habe, dass du mein Stern bist, der heller leuchtet als alle anderen?« Er schluchzte ins Telefon. »Rebecca, ich liebe dich immer noch, bitte glaube mir. Ich liebe euch …« Er hörte ihr noch zwanzig Sekunden beim Weinen zu, bevor er fortfuhr: »Es wird sich alles aufklären, Rebecca. Das FBI ist jetzt hier, sie haben gerade geläutet. Ich werde ihnen alles erklären, und dann reden wir noch einmal, ja, Rebecca? Ich muss jetzt auflegen.«
Fünf Sekunden später drückte er ruhig die rote Taste, um das Gespräch zu beenden. Er fuhr zu Hellbuoy herum: »Pack das Nötigste zusammen. Und denk daran, die Fesseln ordentlich festzuziehen.«
Hellbuoy begann, ohne Fragen zu stellen, den Computer abzubauen: »Soll ich ihr auch die Medikamente geben?«
»Kommt nicht infrage, das mache ich selbst«, sagte Rascal scharf. »Und beeil dich, wir haben nicht mehr viel Zeit.«
K APITEL 33
Oktober 2011
Interstate 680, Nebraska
»Das Firmengebäude steht seit über sechs Jahren leer«, plärrte Bennets tiefe Stimme aus dem Lautsprecher von Sams Handy, während Klara wütend die Lichthupe betätigte, um einen langsam fahrenden Lastwagen von der
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