Judaswiege: Thriller
Festsaal eines sehr, sehr reichen Unternehmens oder einer unermesslich reichen Privatperson gewesen sein, bemerkte Pia.
Die harten Beats bildeten einen krassen Kontrast zu der klassischen Kulisse, ebenso wie die ausgelassen feiernden Gäste, die sich zu Hunderten auf der Tanzfläche drängten. Entgegen ihrem ursprünglichen Gefühl fielen sie mit den Klamotten, die sie trugen, hier kaum auf. Die Kleiderordnung war gemischt, von Abendgarderobe, vor allem bei den Männern, bis hin zum ausgefallenen Fetischoutfit war hier so ziemlich alles dabei. Allerdings ausgesprochen stylish, fand Pia. Sie stolperte weiter hinter Klara her, die sich einen Weg durch die tanzende Menge zur großen Bar an der Kopfseite des Raumes bahnte. Und obwohl viele der Anwesenden deutlich auffälligere Kleidung trugen als sie, ernteten sie einige bewundernde Blicke. Seltsam, dass sie einem gar nicht anzüglich vorkamen, dachte Pia. Es schien sogar so, als hätte die offene Freizügigkeit einen gegenteiligen Effekt und würde zu mehr Respekt statt zu Geringschätzung führen. Pia kam sich bei Weitem nicht wie in anderen Diskotheken vor, wo der Alkohol die Männer sie wie Freiwild anstarren ließ und die Blicke unverhohlen und umso unangenehmer in ihre Ausschnitte lenkte.
Als Klara an der Bar zwei Gläser Champagner bestellte und dafür fünfzig Dollar hinblättern musste, wurde ihr klar, dass die Zurückhaltung zumindest auch an den Getränkepreisen liegen musste. Und sie konnte abschätzen, wie sich der O-Store rechnete trotz dieses atemberaubenden und sicher ein Vermögen verschlingenden Raumes. Klara hielt ihr den schlanken Kelch hin, und sie stießen an.
»Auf einen schönen Abend«, zwinkerte Klara ihr zu.
»Und wie willst du hier drin jemals diesen Adam finden?«, fragte Pia direkt in ihr Ohr, um die Beats zu übertönen.
»Geduld, Pia. Vielleicht haben wir Glück, und er kommt zu uns«, antwortete Klara und musterte einen attraktiven jungen Mann, der lässig an der Bar lehnte und die Tanzfläche beobachtete. Er war Anfang dreißig, sein Haar bereits leicht ergraut, und er hatte ein umwerfendes Lächeln. Pia, du bist so gut wie vergeben, vergiss das nicht, erinnerte sie sich selbst.
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Vittorio lehnte mit einem Whiskey Sour an der Bar und betrachtete die Tanzfläche, als ihm zwei neue Gesichter auffielen. Eine atemberaubend gut aussehende Blondine wurde von einer sehr zierlichen, strengen Lady an einer Leine herumgeführt. Anfänger, wusste Vittorio, aber zumindest was euer Outfit angeht, habt ihr schon vieles richtig gemacht, dachte er lächelnd. Er rückte ein Stück nach links, um die beiden dazu zu verleiten, sich neben ihn zu stellen. Zu seiner Freude klappte der Trick bestens. Der Lockenkopf bestellte Champagner. Sehr nobel, dachte Vittorio. Er hob das Glas in ihre Richtung und erntete einen geraden, abschätzenden Blick, der ihn irritierte. Er hatte nichts von einem Flirt, im Gegenteil. Jetzt war Vittorio doppelt interessiert, und er beschloss, mehr über die beiden herauszufinden.
Die gelockte Brünette war ihm zu dünn, aber die Blondine sah umwerfend aus in ihrem hautengen roten Kleid. Und sie wirkte weniger distanziert, bei Weitem nicht so unnahbar wie ihre Freundin. Er besorgte an der Bar eine Flasche Champagner, die er anschreiben ließ und die er sich eigentlich nicht leisten konnte, aber leider fiel ihm keine günstigere Methode ein, die beiden kennenzulernen. Das war der große Nachteil des O-Store: Er ging tierisch ins Geld. Sparen können wir auch später noch, wenn wir Kinder kriegen, zitierte er Virginia. Wo ist sie überhaupt?, fragte er sich und suchte die Tanzfläche nach ihr ab, während der Barkeeper seine Flasche entkorkte. Er konnte sie nirgends entdecken, aber er wusste, dass sie gegen einen kleinen Flirt nichts einzuwenden hätte, im Gegenteil.
Er nahm die Flasche entgegen und goss sich selbst ein Glas ein. Er trank langsam und beobachtete dabei die beiden Frauen, um den richtigen Moment abzupassen. Als die Blondine ihr Glas leer getrunken hatte und sich nach einer Möglichkeit umsah, es abzustellen, ergriff er die Gelegenheit und trat neben die beiden: »Darf ich nachschenken?«, fragte er galant. Die Blondine schaute überrascht, aber ihre Freundin lächelte: »Aber gerne.«
»Du bist Stammgast hier?«, fragte die Schönheit im roten Kleid ihn nach dem ersten Schluck.
»So etwas in der Art«, grinste Vittorio zurück. »Wie kommst du darauf?«
»Weil du die Flasche anschreiben lassen konntest,
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