Judaswiege: Thriller
und bekam kurz darauf ein Anchor Steam auf den Tresen gestellt inklusive einer Schale Erdnüsse, seine Spezialversion, geröstet mit viel Chili und Honig, von denen er Jay einmal im Quartal einen Zwei-Kilo-Sack vorbeibrachte. Er bedankte sich bei seinem Barkeeper mit einem Kopfnicken. Es wurde nicht viel gesprochen in Jays Bar.
Sam setzte die kleine Flasche an den Mund und trank einen großen Schluck. Er zückte sein Notizbuch, das für jeden Außenstehenden im Zeitalter von Handys mit Massenspeichern und der Fähigkeit, Kinofilme abzuspielen, seltsam altmodisch anmuten musste. Oder wunderbar altmodisch, wenn es nach Sam ging. Ohne konkretes Ziel blätterte er durch seine Einträge, die er in Louisiana gemacht hatte:
Tina Michalsky: exakter Todeszeitpunkt, 5.–8. August
Blond, extrovertiert, Typ dicke Cameron Diaz
Tatort: ???
Entführung: Heimweg von der Arbeit?
Mit einem weiteren großen Schluck hatte er das Bier beinahe ausgetrunken und bestellte ein zweites per Handzeichen bei Jay, der wie immer, wenn nichts los war, hinter der Bar stand, auf seine Zapfhähne starrte und träumte. Das Bier ließ nicht lange auf sich warten, und diesmal bedankte sich Sam artiger, nicht zuletzt, weil ihm Jay eine sogenannte Apotheke, eine Mischung aus verschiedenen Kräuterlikören und Minze, neben sein Anchor Steam gestellt hatte. Die gab es aufs Haus, wenn Jay meinte, ein Gast könne sie gebrauchen. Hilft gegen alles, pflegte er zu sagen. Offenbar hatte der Barkeeper seine Gefühlslage wieder einmal richtig eingeschätzt, denn er blieb stehen und fragte: »Du willst reden, Sam?«
»Vielleicht, Jay«, antwortete er und stürzte die Apotheke gegen alles hinunter. Es war kein starker Drink, aber er hinterließ dennoch eine leicht wohlige Wärme im Bauch. Sollte er mit ihm darüber reden? Die Meinung eines Außenstehenden, der mit der Sache gar nichts zu tun hatte, konnte nicht schaden, und Jay hatte sich stets als durchaus kompetenter Gesprächspartner erwiesen. Er sagte nicht viel, aber dafür dachte er umso mehr nach, Zeit dazu hatte er ja genug. Es war selten richtig viel los in seiner Bar.
»Ich habe eine Frage für dich, Jay: Nehmen wir einmal an, du bräuchtest einen Ort, an dem du absolut ungestört bist. Du machst einen Heidenlärm, aber niemand darf dich hören, weil das, was du tust, absolut illegal ist. Deshalb kannst du auch keine ungebetenen Gäste gebrauchen. Was würdest du mieten? Eine Garage? Eine Lagerhalle? Und vor allem: wo?«
Jay verharrte für einen Moment und nahm dann Sams leeres Bier vom Tresen. Er würde darüber nachdenken, das wusste Sam und wandte sich wieder seinem Notizbuch zu.
Fundort Leiche:
Three Rivers Nationalpark, 20 Kilometer vom Highway, 3 Kilometer von der Forststraße
Tatort: ??
Was stimmt hier nicht? !!!
Seinem Notizbuch vertraute Sam alles an, auch die vagen Vermutungen seiner kalten Finger. Schließlich waren es seine Aufzeichnungen, und sie gingen nur ihn etwas an. Er blätterte eine Seite weiter zur Truthleaks-Spur.
Klara: Truthleaks-Quelle
1. Versuch Stein, sonst wie üblich.
Ergebnis: Stuxnet-Variante installiert (Wesley), sendet (01:38)
Ergebnis2: Name der Quelle: Adam Spillane, The O-Store, 515 Geary Street, San Francisco
Wo Klara wohl gerade steckte? Sam warf einen Blick auf die Uhr. Zu dieser Zeit müsste sie gerade in diesem ominösen Club der Truthleaks-Quelle auf den Zahn fühlen. Sam hoffte inständig, dass sie diesmal nicht wieder zu weit ging. Er kannte ihr aufbrausendes Temperament und ihre absolute Skrupel- und Gewissenlosigkeit, wenn sie einem Täter auf der Spur war. Sissi Swell war gefährlich, für Ermittlungen, für einen Prozess, weil sie die Beweise wieder einmal illegal beschafft hatte, aber vor allem für sich selbst. Und Sam hatte keine Lust, sie noch einmal ans Messer eines Senators liefern zu müssen, dem sie etwas zu fest auf den Schlips getreten war. Er wollte niemals wieder durch solch eine Phase mit Klara gehen müssen. Er hatte sie beim ersten Mal als Geliebte verloren, beim zweiten Mal würde er auch noch die Freundschaft verlieren, die er langsam glaubte wieder aufkeimen zu sehen. Andererseits konnte Klara auch sehr gut auf sich alleine aufpassen, und zur Not zusätzlich auf Pia Lindt, auch wenn es Sam nicht goutierte, dass Klara sie mitgenommen hatte.
Pünktlich zum Ende seines zweiten Bieres stand Jay grinsend vor ihm und stellte ein weiteres Anchor Steam vor ihm ab. Sam griff in die Schale mit den Erdnüssen und nahm eine große
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