Judith McNaught
niemals in Verruf bringen.«
»Wer auch immer sie sein mag«, gab
Sherry zurück und verbarg ihr Entsetzen hinter Spott, während sie erfolglos versuchte,
sich unter seinem Gewicht herauszuwinden, »sie hat mein tiefstes Mitgefühl! Ich
...«
»Sie unverschämte Göre!« schimpfte
er außer sich vor Zorn, und dann packte er ihren Kopf, damit sie sich ihm nicht
entziehen konnte, und küßte sie so hart, als wolle er sie bestrafen und
unterwerfen. Sherry wehrte sich wütend, und schließlich gelang es ihr, den Kopf
zur Seite zu drehen. »Nicht!« schrie sie. Sie haßte sich für das Entsetzen und
das Flehen in ihrer Stimme. »Bitte nicht ... bitte!«
Stephen hob den Kopf, ohne seinen
Griff zu lockern, aber als er ihr blasses, verzerrtes Gesicht sah und merkte,
daß seine Hand auf ihrer Brust lag, schämte er sich, daß er die Kontrolle über
sich verloren hatte. Ihre Augen waren weit aufgerissen vor Angst, und unter
seiner Hand konnte er spüren, wie ihr Herz raste. Er hatte sie nur zähmen, sie
nur seinem Willen unterwerfen und sie zwingen wollen, Vernunft anzunehmen,
aber er hatte nicht darauf abgezielt, sie zu demütigen oder zu erschrecken. Er
wünschte ihren erstaunlichen Willen doch gar nicht zu brechen. Selbst jetzt,
wo sie unter ihm lag und ihm völlig ausgeliefert war, entdeckte er noch Spuren
stürmischer Rebellion in diesen grauen Augen mit den langen Wimpern und an
diesem eigensinnigen Kinn, einen tapferen Widerstand, der in den Augenblicken,
in denen er sich nicht gerührt hatte, wieder gewachsen war. Selbst in ihrer
Auflehnung erschien sie ihm wunderschön, als er die flammendroten Locken
betrachtete, die auf ihren Wangen lagen. Unverschämt, stolz, lieblich, mutig,
klug ... all das war sie.
Und sie würde die Seine werden.
Dieses entzückende, stürmische Mädchen mit den Tizianhaaren in seinen Armen
würde seine Kinder gebären, an seinem Tisch sitzen und ohne jeden Zweifel ihren
Willen mit seinem messen, aber sie würde ihn niemals langweilen – weder im Bett
noch außerhalb. Das wußte er wegen seiner jahrzehntelangen Erfahrung aus
intimen Verbindungen mit dem anderen Geschlecht. Die Tatsache, daß sie nicht
wußte, wer sie war oder wer er war, und daß sie ihn sicher nicht mögen würde,
wenn sie erst einmal ihr Gedächtnis wiedererlangt hatte, bereitete ihm keine
übermäßigen Sorgen.
Von dem Augenblick an, als sie ihre
Hand in seine gelegt hatte und eingeschlafen war, hatte es ein Band zwischen ihnen
gegeben, und nichts, was sie heute abend gesagt oder getan hatte, konnte ihn
überzeugen, daß sie wirklich die Verlobung lösen wollte, oder daß sie nicht
genauso nach ihm verlangte, wie er nach ihr. Das war nur eine Überreaktion auf
den Klatsch, den sie über ihn gehört hatte, weil sie nicht wußte, daß selten
mehr als nur ein Körnchen Wahrheit wenn überhaupt – darin steckte.
All das ging ihm in
Sekundenbruchteilen durch den Kopf, es dauerte jedoch lange genug für seine
Verlobte, um zu spüren, daß sein Zorn verraucht war. In genau der richtigen
Mischung aus Bitte und Festigkeit sagte sie ruhig: »Lassen Sie mich los.«
Stephen fügte ihren zahlreichen anderen begehrenswerten Eigenschaften »scharfe
Auffassungsgabe« hinzu, schüttelte jedoch den Kopf. Er blickte sie fest an und
meinte ruhig und gelassen: »Es tut mir leid, aber wir müssen zu einer
Verständigung finden, bevor Sie diese Kutsche verlassen.«
»Was gibt es da zu verstehen?«
brauste sie auf.
»Das«, erwiderte Stephen, fuhr mit
einer Hand durch ihr Haar und ergriff mit der anderen ihr Kinn. Er drehte ihr
Gesicht zu sich und senkte langsam wieder seinen Mund auf ihre Lippen.
Sherry sah das Glitzern in seinen
Augen und holte tief Luft. Wieder versuchte sie, den Kopf wegzudrehen, aber sie
entkam seinem Griff nicht. Sie wappnete sich gegen einen weiteren strafenden
Anschlag, aber nichts geschah. Statt dessen berührte er mit großer Zärtlichkeit
ihre Lippen und begann, ihre sorgfältig errichtete Verteidigungshaltung zu
durchbrechen. Sein Mund streichelte über ihre Lippen, erforschte sie und fuhr
die Umrisse entlang, während seine Hand aus ihrem Haar tiefer glitt und zart
ihren Nacken streichelte. Er küßte sie endlos, als ob er alle Zeit auf der Welt
hätte, um jeden Winkel ihres Mundes zu erforschen und zu genießen. Sherrys Puls
begann vor Angst zu rasen, aber dann brach ihr Widerstand in sich zusammen.
Der Mann, der sie küßte, wandelte sich plötzlich in den besorgten Verlobten,
der in einem Sessel neben
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