Judith McNaught
köstlichste Episode des Jahres miterlebt! Ich kann es gar
nicht abwarten, jedem zu erzählen, was wir gesehen haben!«
»Wenn ich dir einen Rat geben darf,
solltest du dir die Mühe sparen«, erwiderte der Herzog und lehnte sich in die
Polster zurück.
»Und warum?«
»Weil dir kein Mensch glauben wird.«
Sechsunddreißigstes Kapitel
Ein beständiger Strom luxuriöser Kutschen rückte
langsam in die Bow Street vor, damit die Passagiere vor der hell erleuchteten
Fassade von Covent Garden aussteigen konnten. »Es sieht aus wie ein
griechischer Tempel«, rief Sherry entzückt aus, als sie aus dem Fenster ihrer
Kutsche lugte. »Wie auf dem Gemälde, das in Ihrer Bibliothek hängt.«
Ihre Begeisterung war so ansteckend,
daß sich auch Stephen vorbeugte und gemeinsam mit ihr auf die Fassade der
königlichen Oper blickte. »Sie ist nach dem Modell des Minervatempels in Athen
erbaut worden.«
Sherry hob sorgfältig ihren
wunderschönen Rock an und ergriff Stephens Hand, als sie aus der Kutsche stieg.
Dann blieb sie stehen und sah sich um, bevor sie hineingingen. »Es sieht
prachtvoll aus«, bemerkte sie. Den amüsierten Blicken, die ihr zugeworfen
wurden, schenkte sie keine Beachtung, als sie in das riesige Vestibül traten
und über eine große Freitreppe vorbei an mächtigen ionischen Säulen und funkelnden
griechischen Lampen nach oben gingen. In London herrschte die Mode, sich
jederzeit gelangweilt und blasiert zu geben, aber Sherry kümmerte sich nicht
darum. Ihr Gesicht leuchtete vor Vergnügen, und sie blieb in der Vorhalle, die
zu den unteren Logen führte, stehen, um sich die anmutigen Säulen und die
gewölbten Nischen anzusehen, in denen Gemälde mit Szenen aus
Shakespeare-Stücken hingen.
Stephen mochte sie nicht zur Eile
antreiben, aber ihm war bewußt, daß sie den anderen Besuchern den Weg versperrten,
deshalb ergriff er sie am Ellenbogen und sagte leise: »Wir kommen zu spät,
vielleicht sollten Sie sich lieber in der Pause umsehen.«
»Oh, entschuldigen Sie bitte. Aber
ich kann mir nur schwer vorstellen, daß die Leute hier an all dem vorbeigehen,
ohne ihm auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu widmen.«
Stephens Loge hatte den besten
Blick, und als sie sie betraten, beobachtete er Sherrys Gesicht, um ihre
Reaktion zu sehen, aber sie blickte bewundernd auf die drei eleganten Logen,
die ihnen gegenüberlagen. Jede hatte ihren eigenen Leuchter, und die
Vorderseite war mit goldenen Blumen und Sternen bemalt.
»Ich hoffe, Sie mögen die Oper«,
bemerkte er. Er setzte sich neben sie und nickte beiläufig Freunden zu, die in
der Loge zu ihrer Rechten sagen. »Ich versuche, jeden Donnerstag
hierherzukommen.«
Sherry blickte zu ihm auf. Sie war
so glücklich, daß sie fast Angst hatte, es ihm anzuvertrauen. »Ich glaube ja.
Ich bin nämlich ganz aufgeregt, und das ist wohl ein gutes Zeichen.«
Er hatte ihr lächelnd in die Augen
geschaut, aber während sie sprach, sah sie, wie sich sein Ausdruck änderte und
er die Lider senkte. Sein Blick verweilte lange auf ihren Lippen, dann hob er
ihn wieder.
Das war ein Kuß! stellte sie fest. Es war ein
Kuß, und er wollte, daß sie ihn spürte und daß sie verstand, was er am liebsten
getan hätte. UnbewuQt und kaum merklich bewegte sie ihre Hand und suchte seine,
wie am ersten Tag, als sie das Bewußtsein wiedererlangt hatte.
Es war nur eine winzige Bewegung,
die ihm vielleicht gar nicht aufgefallen wäre, auch wenn er hingesehen hätte,
statt die Freunde zu begrüßen, die in die Loge gekommen waren. Doch als Sherry
sich umwandte, um sie auch zu begrüßen, umfaßte seine Hand die ihre und starke
Finger verschränkten sich mit ihren. Ein Schauer lief über Sherrys Rücken, als
sein Daumen sanft über ihre Handfläche rieb. Das war noch ein Kuß, stellte sie
fest und hielt den Atem an. Und dieser war langsamer, länger und tiefer.
Ihr Herz weitete sich, und sie
blickte auf die schöne männliche Hand, die teilweise von dem Fächer in ihrem
Schoß verdeckt wurde. Sie beobachtete seine streichelnden Finger, während sie
ihren Körper unter seiner Berührung zerfließen fühlte.
Unten, auf der Galerie und im
Parkett, musterte eine lärmende und neugierige Menge offen die Personen, die
in den Logen saßen, und Sherry versuchte, völlig gleichgültig auszusehen,
während die einfache Berührung eines Fingers in ihrer Handfläche ihren Puls
immer weiter zum Rasen brachte.
Als das Streicheln schließlich
aufhörte und ihr Pulsschlag sich wieder normalisiert
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