Judith McNaught
Mal in der Oper gesehen hatte, gab er mir gegenüber zu, daß
er ihren Aufenthaltsort kannte, aber er wollte ihn mir nicht sagen, als ich ihn
fragte. Und Nicki hat mir noch nie etwas verweigert. Er meinte ganz
entschlossen, sie habe genug unter Stephen gelitten und sie wolle nicht
gefunden werden.«
»Sie ist verschwunden, nicht
Stephen«, bemerkte Clayton.
»Ich neige auch zu dieser Ansicht,
aber Nicki ist da eisern. «
»Dann tust du gut daran, sie nicht
in die gleiche Grafschaft, geschweige denn in das gleiche Haus zu holen.«
Whitney hörte ihm mit besorgt
gerunzelter Stirn zu. »Warum nicht?«
»Weil Stephen eine ausgesprochene
Abneigung gegen DuVille entwickelt hat, seit Sherry verschwunden ist.«
Sie sah so bekümmert aus, daß
Clayton seine Gedanken wieder auf den Plan richtete, Sheridan mit Stephen zusammenzubringen.
Ihre kleine Intrige barg zahlreiche Möglichkeiten zum Scheitern in sich, aber
auch ihm fiel keine bessere Lösung ein. »Was tun wir, wenn die Skeffingtons
absagen?« fragte er.
Seine Frau zog diese Möglichkeit
nicht in Betracht. Sie klopfte mit dem Finger auf einen gefalteten Briefbogen
auf ihrem Schreibtisch. »Nach den Informationen dieses Briefs aus Matthew
Bennetts Kanzlei hat Lady Skeffington ihren Mann, Sir John, überredet, während
der Saison mit der ganzen Familie nach London zu kommen, und zwar
hauptsächlich, um mit den 'richtigen Leuten' in Kontakt zu treten. Lady Skeffington
hat sehr wenig Geld, aber äußerst große gesellschaftliche Ambitionen, wie es
scheint.«
»Das klingt ja entzückend«, bemerkte
Clayton ironisch. »Ich kann es kaum erwarten, daß sie sich in meinem Haus
breitmachen, und das zweiundsiebzig Stunden, zwölf Mahlzeiten und drei Tees
lang ...«
Unbeirrt fuhr Whitney fort: »Sie
kamen nach London in der Hoffnung, Zutritt zu den höchsten Kreisen zu finden,
damit ihre siebzehnjährige Tochter eine Gelegenheit erhält, eine brillante
Partie zu machen. Bis gestern ist ihnen weder das eine noch das andere
gelungen. Kannst du dir unter diesen Voraussetzungen wirklich vorstellen, daß
die Skeffingtons eine persönliche Einladung des Duke of Claymore zu einem Fest
auf seinem Landsitz ablehnen würden?«
»Nein«, erwiderte Clayton, »aber
Hoffnung gibt es immer.«
»Nein, gibt es nicht«, antwortete
seine unverbesserliche Frau und wandte sich lachend wieder ihren Papieren zu.
»Zumindest nicht, solange dein Bruder als die beste Partie in ganz England
gilt.«
»Vielleicht schneit es an diesem
Wochenende«, sagte er und machte bei dem Gedanken an das Fest in seinem Haus
ein ganz entsetztes Gesicht. »Es hat doch ganz bestimmt irgendwann einmal in
der Weltgeschichte auf dieser Insel im Juni geschneit.«
Siebenundvierzigstes Kapitel
Lady Skeffington hatte ihre schmerzenden
Füße auf einen Hocker gelegt und saß glückselig schweigend im Salon ihres
kleinen Londoner Mietshauses. Ihr gegenüber saß ihr Mann und las die Times, und
auch er hatte seinen schlimmen Fuß auf einen Hocker gelegt. »Horch nur, wie
still es ist«, sagte sie und neigte glücklich den Kopf zur Seite. »Miss
Bromleigh ist mit den Kindern Eis essen gegangen. Sie werden jeden Moment
zurückkommen, und ich kann nur daran denken, wie nett es ist, wenn sie einmal
fort sind.«
»Ja, mein Täubchen«, erwiderte ihr
Mann, ohne von seiner Zeitung aufzublicken.
Sie wollte gerade dieses Thema
weiter erörtern, als ihr Lakai, der auch als Kutscher und Butler fungierte, in
ihre Einsamkeit einbrach, einen Briefumschlag in seiner ausgestreckten Hand
haltend. »Wenn das wieder eine Nachricht wegen unserer Miete ist ...«, begann
sie, dann jedoch spürten ihre Finger, wie außergewöhnlich dick das schwere,
cremefarbene Papier in ihrer Hand war, und sie drehte den Briefumschlag um,
wobei sie fassungslos auf das Wachssiegel starrte. »Skeffington«, stieß sie
hervor, »ich glaube – ich bin mir fast sicher – wir haben gerade unsere erste
wichtige Einladung erhalten ... «
»Ja, mein Täubchen.«
Sie brach das Siegel, entfaltete den
Briefbogen, und ihr Mund blieb offen stehen, als sie das goldene Wappen über
dem Schreiben entdeckte. Ihre Hände begannen zu zittern, als sie es durchlas,
und erregt und mit zitternden Gliedern stand sie auf. »Claymore!« stammelte
sie ehrfürchtig und griff sich mit der freien Hand an die Brust, wo ihr Herz
heftig zu schlagen angefangen hatte. »Wir sind in Claymore eingeladen
...
»Ja, mein Täubchen.«
»Der Duke und die Duchess of
Claymore geben sich die
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