Judith McNaught
Gegenwart Sheridan
Bromleighs Namen erwähnen würde, sollte ich mich nicht darauf verlassen, daß er
ähnlich zurückhaltend reagieren werde.«
»Das hat er
gesagt?«
»Nicht mit genau den gleichen
Worten«, antwortete Clayton mit grimmiger Ironie. »Stephen drückte sich knapper
und ... farbiger aus.«
»Nun ja, mir kann er nicht drohen.
Irgendwas muß ich doch tun können.«
»Hast du schon mal an Beten gedacht?
Eine Pilgerfahrt? Hexerei?« Trotz seines unbeschwerten Tonfalls wollte er, daß
sie die Dinge ruhen lieg, und sie merkte es ihm an. Als sie nicht lächelte,
stellte er seine Tasse auf den Unterteller und lehnte sich mit leisem
Stirnrunzeln in seinem Stuhl zurück. »Du bist absolut entschlossen, dich darum
zu kümmern, ganz gleich, was Stephen oder ich sagen, nicht wahr?«
Sie nickte zögernd. »Ich muß es
einfach versuchen. Ich muß dauernd an den Ausdruck auf Sheridans Gesicht denken,
wenn sie ihn in der Oper ansieht, und daran, wie sie ihn auf dem Ball der
Rutherfords angeschaut hat. Und Stephen wirkt jedesmal, wenn ich ihn sehe,
verhärmter und finsterer, also nützt es wohl keinem von beiden, wenn ich mich
heraushalte.«
»Ich verstehe«, sagte er und ein
leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er sie anblickte. »Kann ich
irgend etwas sagen, um dich davon zu überzeugen, daß es ein Fehler ist?«
»Leider
nein.«
»Das dachte
ich mir.«
»Dann kann ich es dir auch gleich
gestehen – ich habe Matthew Bennett damit beauftragt, in seiner Kanzlei Nachforschungen
darüber anzustellen, wo sie sich aufhält. Ich kann die beiden nicht
zusammenbringen, solange ich nicht weiß, wo sie ist.«
»Es überrascht mich, daß du nicht in
der Pause einen Lakai angeworben hast, damit er ihr am Ende der Vorstellung
nach Hause folgt, und dann erst Bennetts Kanzlei mit den Nachforschungen
beauftragt hast.«
»Daran habe
ich nicht gedacht.«
»Aber ich.«
Seine Stimme klang so unbeteiligt
und sein Gesichtsausdruck schien so gleichgültig, daß es einen Augenblick dauerte,
bis sie die wirkliche Tragweite seiner Worte erkannte. Als sie ihr schließlich
dämmerte, wurde sie von der vertrauten Woge von Zuneigung überwältigt, die in
den vier Jahren ihrer Ehe immer stärker geworden war. »Clayton«, sagte sie,
»ich liebe dich.«
»Sie arbeitet als Gouvernante für
einen Baronet und seine Familie«, informierte er sie. »Der Nachname ist
Skeffington. Drei Kinder. Ich habe noch nie von ihnen gehört. Bennett hat ihre
Adresse.«
Whitney stellte ihre Teetasse ab und
erhob sich, um der Anwaltskanzlei sofort eine Nachricht zu schicken, in der sie
um alle Informationen bitten wollte.
» Whitney?«
Sie drehte sich auf der Schwelle des
Morgenzimmers um. »Mylord?«
»Ich liebe dich auch.« Statt einer
Antwort lächelte sie ihn an, und er wartete einen Moment lang, bevor er eine ernsthafte
Warnung aussprach. »Wenn du auf deinem Plan bestehst, die beiden einander
gegenüberzustellen, dann sei bitte vorsichtig dabei und bereite dich auch
darauf vor, daß Stephen in dem Moment, wo er sie sieht, geht. Du solltest auch
die Möglichkeit bedenken, daQ er dir deine Einmischung nicht verzeiht, oder
jedenfalls für lange Zeit nicht. Überlege also sorgfältig, bevor du Schritte
unternimmst, die du später vielleicht bereust.«
»Das werde ich«, versprach sie.
Clayton sah ihr nach und schüttelte
langsam den Kopf. Er wußte nur zu gut, daß sie keine Zeit damit vergeuden würde
nachzudenken, bevor sie handelte. Es lag einfach nicht in ihrem Naturell, das
Leben verstreichen zu lassen anstatt sich mitten hineinzustürzen. Aber das,
überlegte er, war einer der Charakterzüge, die er am meisten an ihr liebte.
Er hatte allerdings nicht erwartet,
daß sie so schnell reagieren würde.
»Was schreibst du da?« fragte er,
als er am selben Nachmittag in den Salon kam und sie an einem
Rosenholzsekretär sitzen sah. Nachdenklich strich sie mit der Schreibfeder über
ihre Wange und studierte einen Stapel Papier, den sie in der Hand hielt.
Sie blickte auf, als sei sie in
Gedanken ganz weit weg gewesen, und lächelte ihn flüchtig an. »Eine
Gästeliste.«
Die hektischen Aktivitäten der
Saison gingen langsam dem Ende entgegen, und sie hatten sich beide darauf
gefreut, für den Sommer in den Frieden und die Ruhe ihres Landsitzes
zurückkehren zu können. Deshalb überraschte es Clayton gewaltig, daß sie
offensichtlich ein Fest plante. »Ich dachte, wir würden übermorgen nach
Claymore zurückfahren.«
»Das tun wir
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