Judith McNaught
empfindsame, intelligente Mädchen hervorgebracht haben
konnten. »Das Schlimmste, was man sich nur vorstellen kann, ist geschehen«,
sagte Julianna angeekelt.
»Das Allerschlimmste?« neckte
Sherry. »Nicht nur etwas Entsetzliches oder Unglückseliges, sondern das
Schlimmste, was man sich nur vorstellen kann?«
Julianna verzog die Lippen zu der
Andeutung eines Lächelns, das aber wieder verschwand, als sie seufzte: »Mama
ist im siebten Himmel. Sie glaubt, irgendein Aristokrat habe eine Neigung zu
mir gefaßt, aber in Wahrheit hat er kaum in meine Richtung gesehen und noch nie
ein Wort mit mir geredet.«
»Ich verstehe«, erwiderte Sheridan
ernst, und sie verstand wirklich. Sie fühlte Mitleid mit dem Mädchen und
überlegte gerade, was sie ihr sagen sollte, als Lady Skeffington zur Tür
hereingestürmt kam.
»Ich weiß gar nicht, was wir in
solch einer illustren Gesellschaft anziehen sollen. Miss Bromleigh, Sie sind
doch auf die Empfehlung der Schwester eines Herzogs zu uns gekommen, könnten
Sie uns vielleicht einen Rat geben? Wir werden sofort in die Bond Street
fahren. Julianna, halt deine Schultern gerade. Herren mögen keine Frauen, die
sich hängenlassen. Was sollen wir tun, Miss Bromleigh? Wir müssen Kutschen
mieten, und wir müssen natürlich mit der ganzen Dienerschaft, einschließlich
Ihnen, fahren.«
Sherry ließ diese Darstellung ihrer
Position über sich ergehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Es verhielt sich ja
wirklich so, vor allem in diesem Haushalt. Da zählte sie eben zur
Dienerschaft, und sie konnte sich glücklich schätzen, diese Stelle bekommen zu
haben.
»Ich bin keine Expertin darin, wie
sich die elegante Gesellschaft kleidet«, erwiderte sie vorsichtig, »aber ich
helfe Ihnen natürlich gern, Ma'am. Wo wird das Fest stattfinden?«
Lady Skeffington straffte sich und
streckte ihren ausladenden Busen vor. Sie erinnerte Sheridan an einen Herold,
der die Ankunft des Königs und der Königin ankündigt. »Auf dem Landsitz des
Dukes und der Duchess of Claymore!«
Das Zimmer drehte sich vor Sherrys
Augen, ihr wurde schwindlig. Sie mute sich verhört haben.
»Der Duke und die Duchess of
Claymore haben uns zu einem privaten Fest in ihrem Heim eingeladen.«
Sherry griff nach dem Bettpfosten,
umklammerte ihn und starrte die andere Frau an. Nach dem, was sie aus erster
Hand über die gesellschaftliche Hierarchie wußte, bildeten die Westmorelands
die Spitze, während die Skeffington sozusagen der Bodensatz waren, so weit unten,
daQ die Westmorelands sie gar nicht kannten. Selbst ohne die lachhaft großen
Unterschiede in Reichtum und Ansehen der beiden Familien, gab es immer noch den
Punkt Herkunft und Erziehung. Die Westmorelands besaßen sie, ebenso wie all
ihre Bekannten. Sir John und Lady Glenda Skeffington dagegen keineswegs. Das
war unmöglich, dachte Sherry. Sie befand sich in einem ihrer Tagträume, und er
hatte sich in einen Alptraum verwandelt.
»Miss Bromleigh, Sie werden ganz
blaß, und ich muß Sie warnen: Wir haben jetzt keine Zeit für Zustände. Wenn
noch nicht einmal ich die Zeit finde, um in eine hübsche kleine Ohnmacht zu
sinken«, fügte sie mit einem robusten Lächeln hinzu, »dann haben Sie sie ganz
bestimmt nicht, mein gutes Kind.«
Sherry
schluckte wiederholt und versuchte, ihre Stimme wiederzufinden. »Sind Sie ...«,
fragte sie rauh, »sind Sie mit ihnen bekannt, mit dem Herzog und der Herzogin,
meine ich.«
Lady Skeffington sprach eine Warnung
aus, bevor sie die Wahrheit gestand: »Ich denke, Sie würden kein Geheimnis
ausplaudern und damit riskieren, Ihre Stellung bei uns zu verlieren?«
Sherry schluckte noch einmal und
schüttelte den Kopf, was Lady Skeffington richtig als Versprechen Sherrys, die
Sache vertraulich zu behandeln, deutete. »Sir John und ich sind ihnen in
unserem ganzen Leben noch nie begegnet.«
»Wie kommt
es dann, ich meine, warum.
»Ich habe guten Grund zu der
Annahme«, gestand Lady Skeffington stolz, »daß der begehrenswerteste
Junggeselle in ganz England ein Auge auf Julianna geworfen hat. Dieses Fest ist
meiner Meinung nach nur ein Plan – eine kluge Methode, die der Earl of
Langford ersonnen hat –, um Julianna in seine eigenen Kreise zu holen, damit er
sie in Ruhe betrachten kann.«
Vor Sheridans Augen flimmerten
mittlerweile farbige Blitze.
»Miss
Bromleigh?«
Sheridan blinzelte argwöhnisch die
Frau an, die ihr offenbar dieses ganze Ammenmärchen nur als eine Art
teuflischer Folter aufgetischt hatte, um Sherrys sorgfältige
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