Judith McNaught
nicht glauben, daß Sie nicht zurückkämen. Selbst nachdem Miss Lancaster
ihr Gift verspritzt hatte, glaubte er ihr nicht. Er wartete darauf, daß Sie
zurückkämen und ihm alles erklärten.«
Sherry hatte das Gefühl, ihr bräche
das Herz, und dann fügte die Herzogin auch noch hinzu: »Er behielt den Priester
bis spät am Abend da. Er ließ ihn einfach nicht gehen. Klingt das nach einem
Mann, der Sie nicht wollte? Klingt das nach einem Mann, der Sie nur aus
Schuldbewußtsein oder Verantwortungsgefühl zu heiraten plante? Da er
mittlerweile wußte, daß Sie nicht Charise Lancaster waren, warum sollte er
Ihnen gegenüber dann Schuld und Verantwortung empfinden? Ihre Kopfverletzung
war geheilt, und Ihr Gedächtnis war zurückgekehrt.«
Sherry fühlte sich ganz
zerschmettert bei dem Gedanken, was sie vielleicht hätte haben können ... und
was sie verloren hatte.
»Er wollte nicht glauben, daß Sie
weggelaufen waren. Er wollte den Priester nicht gehen lassen«, sagte Whitney
nachdrücklich. »Der Vikar wies darauf hin, daß die Hochzeit bei Tageslicht
stattfinden müsse, weil es so Sitte sei, aber Stephen ließ ihn kaum zu Wort
kommen.«
Sherry wandte den Kopf ab, weil
Tränen in ihren Augen standen. »Ich dachte nie ... wußte nie ... Er kann nicht
bei klarem Verstand gewesen sein«, sagte sie mit festerer Stimme und wandte
sich wieder zu Whitney. »Er hätte doch nie in Betracht gezogen, eine einfache
Gouvernante zu heiraten.«
»O doch, das hätte er«, erwiderte
Whitney mit gerührtem Lachen. »Das kann ich Ihnen aus persönlicher Erfahrung sagen
– und aus allem, was ich über die Geschichte der Familie gelesen habe. Die
Männer der Westmorelands tun genau das, was ihnen gefällt, und das war schon
immer so. Darf ich Sie daran erinnern, daß Stephen, als er den Vikar in seinem
Haus festhielt, bereits wußte, daß Sie die bezahlte Gesellschafterin von
Charise Lancaster waren? Es kümmerte ihn nicht. Er hatte sich in den Kopf
gesetzt, Sie zu heiraten, und nichts konnte ihn aufhalten. Nur Sie.«
Sie hielt inne und beobachtete, wie
Sheridans Gesichtsausdruck Freude und Qual ... und dann Hoffnung widerspiegelte.
Eine leise, zerbrechliche Hoffnung, aber sie war da, und obwohl Whitney sich
sehr darüber freute, fühlte sie sich verpflichtet, eine ernüchternde Warnung
auszusprechen. »Leider«, sagte sie, »sind die Westmoreland-Männer äußerst
schwierig zu handhaben, wenn sie stärker provoziert werden, als ihnen
vernünftig scheint, und ich fürchte, Stephen ist bereits weit über diesen
unglückseligen Zustand hinaus.«
»Unvernünftig provoziert?« fragte
Sherry vorsichtig.
Whitney nickte. »Leider.« Sie
wartete und hoffte auf ein Zeichen des Muts, den Sheridan brauchen würde, um
die Dinge ins Lot zu bringen. »Wenn zwischen Ihnen wieder alles in Ordnung
kommen soll, dann wird, so fürchte ich, die ganze Mühe bei Ihnen liegen. Im
günstigsten Fall können Sie auf Widerstand von Stephen hoffen. Auf kalten,
teilsnahmslosen Widerstand. Im schlimmsten Fall wird er Sie seine ungezügelte
Wut spüren lassen.«
»Ich
verstehe.«
»Er möchte nichts mit Ihnen zu tun
haben; er erlaubt uns noch nicht einmal, daß wir Ihren Namen erwähnen.«
»Er ... haßt mich?« fragte sie. Ihre
Stimme bebte bei der entsetzlichen Gewißheit, daß es so war – und bei dem Gedanken,
daß sie das alles hätte verhindern können.
»Inbrünstig.«
»Aber er ... ich meine, denken Sie,
er hat mich vorher nicht gehaßt?«
»Ich glaube, er liebte Sie. Ich habe
Ihnen schon einmal gesagt, daß Stephen noch nie eine Frau so behandelt hat,
wie er Sie behandelte. Unter anderem war er sehr besitzergreifend, was sonst
überhaupt nicht seine Art ist.«
Sheridan blickte auf ihre Hände. Sie
fürchtete sich vor der Hoffnung, einige dieser Gefühle wieder in ihm erwecken
zu können, aber sie brachte es auch nicht fertig, die Hoffnung aufzugeben. Sie
blickte Whitney an und fragte: »Was kann ich tun?«
»Sie können
um ihn kämpfen.«
»Aber wie?«
»Das ist der schwierigste Teil des
Problems«, erwiderte Whitney und biß sich auf die Lippen, um ihr Lächeln über
Sheridans besorgten Gesichtsausdruck zu verbergen.
»Er wird Sie natürlich meiden. Er
würde sogar in dem Moment, wo er merkt, daß Sie hier sind, das Haus verlassen,
würden wir nicht Noels Geburtstag feiern und er sein Gesicht verlieren, wenn
er ginge.«
»Dann sollte ich vermutlich dankbar
sein, daß die Angelegenheit so vonstatten geht.«
»Eigentlich geht es nicht
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