Judith McNaught
der Herzoginwitwe griff Whitney hastig ein. »Warum gehen Sie
nicht mit Noel nach draußen, Ma'am«, schlug sie Charity vor. »Ich habe die
Gouvernanten angewiesen, mit den Kindern jetzt zum Teich zu gehen, damit sie
sich die Schwäne anschauen und etwas Süßes essen können. Sie sollten ein wenig
auf unsere Gouvernante achten, wenn sie dort erscheint.«
Charity nickte sofort, stand auf und
ergriff Noels Hand. »Nun, mein kleiner Lord, sollen wir versuchen, unsere Beute
aufzuspüren?« forderte sie ihn auf.
Noel zog seine Hand zurück und
schüttelte seinen dunklen Lockenkopf. »Nein, erst Küßchen«, erklärte er und
lief auf seinen stämmigen Beinchen quer durch das Zimmer, um seine Großmutter
und seine Mutter zu küssen. Er wußte, daß sie das gern hatten. Zufrieden
strahlte er Miss Charity an, gab ihr wieder die Hand und ging mit ihr durch die
französischen Türen, die auf den Rasenplatz führten, nach draußen.
Es gelang der Herzoginwitwe, so
lange zu lächeln, bis Noel verschwunden war, aber sobald er sich außer Sichtweite
befand, richtete sie ihren wütenden Blick auf die Tür, die aus der Haupthalle
in das Zimmer führte. Die Aufregung hatte letztendlich über ihre Geduld
gesiegt. Sie war ärgerlich auf Stephen, weil er ihren sorgfältig entwickelten
Plan, eine Versöhnung mit Sherry herbeizuführen, durchkreuzte, indem er nicht
nur eine, sondern gleich zwei Frauen mitbrachte, und sie regte sich maßlos,
wenn auch nicht ganz gerecht, über die Frauen auf, die mitgekommen waren. Ohne
die Angespanntheit seiner Mutter zu bemerken, geleitete Stephen seine Gäste in
das Wohnzimmer und kam direkt auf ihren Sessel zu. »Du siehst ein wenig
erschöpft aus«, bemerkte er und beugte sich nieder, um ihr einen Kuß auf die
Wange zu geben.
»Ich würde nicht erschöpft aussehen,
wenn du mir nicht durch dein Zuspätkommen solche Sorgen bereitet hättest.«
Stephen war zu verblüfft über ihren
Tonfall, um heftig auf den ungerechten Tadel zu reagieren. »Es war mir nicht bewußt,
daß ich zu einer bestimmten Zeit hätte hier sein sollen. Es tut mir leid, wenn
du dir Sorgen gemacht hast.«
»Es ist äußerst ungezogen, deine
Gastgeberin warten zu lassen«, erwiderte sie schroff.
Stephen richtete sich auf und
blickte sie mit überraschtem Ärger an. »Ich bitte aufrichtig um Verzeihung für
meine Verspätung, Euer Gnaden.« Mit einer formellen Verbeugung fügte er hinzu:
»Zum zweiten Mal.«
Dann ging er mit einem unmerklichen
Schulterzucken über ihr ungewöhnlich strenges Verhalten hinweg und drehte sich
um, damit sie seine Gäste begrüßen konnte. »Mutter«, sagte er, »ich glaube, du
kennst Miss Fitzwaring bereits ... «
»Wie geht es Ihrem Herrn Papa?«
fragte die Herzoginwitwe, während die junge Frau anmutig vor ihr knickste.
»Sehr gut, danke, Euer Gnaden. Ich
soll Ihnen seine wärmsten Empfehlungen übermitteln.«
»Ich lasse
ihn auch grüßen. Und nun, da Sie ja offensichtlich erschöpft von der Fahrt
sind, schlage ich vor, daß Sie direkt nach oben gehen und dort bis zum Essen
bleiben, damit Sie sich ausruhen und wieder zu Kräften kommen können.«
»Ich bin nicht im mindesten
erschöpft, Euer Gnaden«, erwiderte Miss Fitzwaring steif, beleidigt über den
unverblümten Hinweis, sie sähe nicht besonders gut aus.
Die Herzoginwitwe beachtete sie gar
nicht und streckte der anderen Frau königlich ihre Hand entgegen. Als Georgette
knickste, erklärte sie: »Ich hörte, Sie lagen kürzlich krank zu Bett, Miss Porter.
Sie sollten sich am Wochenende besser hinlegen.«
»Oh, aber – das war letztes Jahr,
Euer Gnaden. Ich bin wieder vollkommen gesund.«
»Vorbeugung ist das beste
Heilmittel«, beharrte sie. »Das sagt mein Arzt immer, und deshalb befinde ich
mich bei bester Gesundheit und in stets guter Laune.«
Whitney trat dazu und begrüßte ihre
unerwarteten Gäste, bevor sie im Geiste darauf kamen, diese gute Laune auch für
sich in Anspruch zu nehmen. »Sie sehen beide vollkommen gesund aus, aber ich
bin sicher, daß sie sich ein wenig erfrischen möchten«, sagte sie lächelnd.
Sie führte die gekränkte Miss Porter und die beleidigte Miss Fitzwaring zur
Tür, damit ein Lakai ihnen ihre Zimmer zeigen konnte.
»Wo ist mein Neffe?« fragte Stephen,
nachdem er Whitney einen kurzen Kuß auf die Wange gedrückt hatte. »Und wo«,
fügte er zynisch flüsternd hinzu, »ist die angeblich gute Laune meiner Mutter?«
»Noel ist bei Miss Charity ...«,
begann Whitney, als ihr plötzlich kam, daß
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