Judith McNaught
dem Absatz seines Stiefels. »Es tut mir leid,
Lady Skeffington, ich war geistig abwesend. Sie wollten etwas wissen?«
»Wie finden Sie passende
Dienstboten? Wäre es nicht so schwierig, hätten wir sicherlich nicht diese
unverschämte Amerikanerin eingestellt. Ich überlege ernsthaft, ob wir sie auch
nur für eine Stunde weiter in unseren Diensten behalten sollten.«
»Ich betrachte eine Gouvernante
nicht als Dienstbotin ...«, begann Whitney. Sie hatte gedacht, Stephen höre
nicht zu, aber bei dieser Bemerkung blickte er über die Schulter und sagte mit
beißendem Spott zu Lady Skeffington: »Meine Schwägerin betrachtet sie als Familienangehörige. Man könnte sogar sagen, sie schätzt sie noch mehr als die Familie.« Er
durchbohrte Whitney mit seinen Blicken. »Nicht wahr?« knurrte er sarkastisch.
Dies war die erste Bemerkung, die er
an Lady Skeffington richtete, seit sie einander vorgestellt worden waren, und
Lady Skeffington empfand sie als Ermutigung; der Sarkasmus in seiner Stimme
entging ihr völlig. Sie ließ sofort das Thema Gouvernante fallen, eilte an
seine Seite und sagte: »Meine liebe Julianna hält es genauso, wie Sie vielleicht
bemerkt haben. Sie hat Sheridan Bromleigh gleich verteidigt. Julianna ist so
ein wundervolles Mädchen«, fuhr sie fort, wobei es ihr irgendwie gelang, sich
zwischen Monica und Stephen zu quetschen, »so aufrichtig, so süß ...«
Als Stephen zum Haus ging, blieb sie
an seiner Seite, und Sir John trottete hinter ihnen her.
»Beinahe könnte er mir leid tun«,
bemerkte Clayton lässig, während er zusah, wie Lady Skeffington ihren drögen
Monolog weiterführte.
»Mir nicht«, erwiderte Whitney, die
von seiner schneidenden Bemerkung über ihre Unaufrichtigkeit immer noch verletzt
war. Mit einem raschen, entschuldigenden Blick auf die Männer erklärte sie:
»Ich möchte mit Victoria und Alexandra reden.«
Schweigend und nachdenklich sahen
ihr alle drei Männer nach, als sie ging. »Entgegen dem, was unsere Frauen denken,
war das ein Fehler«, sagte Jason Fielding und sprach damit die Gedanken aller
aus. Er blickte Clayton an und fügte hinzu: »Du kennst Stephen besser als
Jordan oder ich. Was meinst du?«
»Ich fürchte, du hast recht«,
erwiderte Clayton grimmig. Er dachte an Stephens Gesichtsausdruck, als Sherry
ihm so süß die »Gunst« dargeboten hatte. »Ich halte es für einen riesigen
Fehler, und Sheridan Bromleigh wird darunter zu leiden haben. Stephen hat sie
ständig als intrigante Opportunistin abgetan, die aus Angst vor Verfolgung
floh, und sich jetzt wieder in seine Nähe traut, um sich erneut einzuschmeicheln,
weil er ihr nicht die Polizei auf den Hals gehetzt hat. Nichts, was sie tut
oder sagt, spielt eine Rolle, weil sie ihm beweisen muß, daß er unrecht hat.
Und das kann sie nicht.«
Die Frauen, die im blauen Salon
zusammengekommen waren, um über die Situation zu sprechen, vertraten eine
ähnliche Meinung.
Whitney sank in ihren Sessel und
starrte düster auf ihre Hände, dann blickte sie ihre Mitverschwörerinnen, einschließlich
der Herzoginwitwe, an. »Es war ein Fehler«, sagte sie zu ihrer Schwiegermutter,
die sich das »Spektakel« vom Fenster ihres Schlafzimmers aus angesehen hatte.
»Ich hätte weinen können, als er
ihre Geste ignorierte«, erklärte Alexandra mit schmerzerfüllter Stimme.
»Sherry war so tapfer, so offen und so schrecklich verletzlich.« Sie blickte
über die Schulter, um Miss Charity höflich in das Gespräch miteinzubeziehen,
aber die ältere Dame hatte nichts zu sagen. Sie saß am Fenster und blickte mit
nachdenklich gerunzelter Stirn vor sich hin, wobei sie den Eindruck
vermittelte, entweder ganz aufmerksam oder gar nicht zuzuhören.
»Wir haben noch einen ganzen Tag und
einen Abend«, sagte Stephens Mutter. »Vielleicht wird er bis dahin nachgiebiger.«
Whitney schüttelte den Kopf.
»Bestimmt nicht. Ich dachte, wenn sie da wäre, würde er ihr auch zuhören, aber
selbst, wenn er das täte, würde er seine Meinung nicht ändern. Das weiß ich
jetzt. Außerdem weiß er, daß sie zu Nicki gegangen ist, als sie ihn verlassen
hat, und ihr wißt ja, wie er über Nicki denkt.«
Bei ihren Worten wandte ihr Miss
Charity abrupt den Kopf zu. Ihr Stirnrunzeln wurde noch konzentrierter.
»Ohne irgendwelche Beweise würde
Stephen Sherry gar nichts mehr glauben. Ihre Taten sprechen für ihn eine so
deutliche Sprache, daß nichts sonst mehr zählt. Irgend jemand müßte ihm einen
anderen einleuchtenden Grund präsentieren,
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