Judith McNaught
das sie schon seit
einiger Zeit mit erheiternder – und wachsender – Hartnäckigkeit vorantrieben.
Wenn seine Mutter und Whitney erst
einmal den wahren Grund kannten, warum er aus London fortmußte, würden sie ihm
zwar sofort verzeihen, daß er ihre Pläne durchkreuzte, aber bestimmt auch
enttäuscht sein.
Vierzehntes Kapitel
Da Stephen nun wußte, warum Whitticomb darauf
bestand, daß er den Part des ergebenen Verlobten spielte, beschloß er, sofort
Maßnahmen zu ergreifen. Vor Miss Lancasters Tür blieb er kurz stehen und
wappnete sich gegen den unvermeidlichen Tränenausbruch und die Vorwürfe, die
zweifellos auf ihn niederprasseln würden, sobald sie ihn sah. Dann klopfte er
und bat um Einlaß.
Sheridan zuckte beim Klang seiner
Stimme zusammen; als jedoch das Mädchen ihm eilig die Tür öffnen wollte, wandte
sie sich wieder dem Artikel in der Londoner Zeitung zu, den sie gerade las, und
sagte mit fester Stimme: »Sagen Sie seiner Lordschaft bitte, ich sei
indisponiert.«
Als die Zofe diese Nachricht
überbrachte, runzelte Stephen besorgt die Stirn und überlegte, wie krank sie
durch seine Vernachlässigung wohl geworden sein mochte. »Sagen Sie ihr, ich
würde sie gerne besuchen und käme in einer Stunde wieder.«
Sheridan gestattete sich nicht die
leiseste Spur von Freude oder Erleichterung darüber, daß er beabsichtigte,
wiederzukommen. Sie hatte besseres zu tun, als sich von ihm abhängig zu
machen. Dr. Whitticomb war über den Zustand, in dem er sie heute morgen
vorgefunden hatte, so beunruhigt gewesen, daß seine Besorgnis sich auf sie
übertragen und sie aus ihrem betäubten Elend gerissen hatte. Wenn sie wieder
ganz gesund werden wollte, hatte er sie gewarnt, sei es absolut unabdingbar,
daß sie körperlich auf sich achtete und ihren Geist aktiv erhielte.
Er hatte eine nicht sehr
überzeugende – und, wie Sherry vermutete, unaufrichtige – Erklärung für die Vernachlässigung
seitens ihres Verlobten gemurmelt, in der Wendungen wie »aufgehalten von
dringenden Geschäften«, »Verpflichtungen aufgrund seiner Stellung« und
»Probleme mit der Verwaltung eines seiner Landsitze« vorkamen. Er hatte sogar
indirekt darauf hingewiesen, daß es dem Earl in letzter Zeit nicht gut gegangen
sei. Je mehr jedoch der freundliche Arzt Lord Westmorelands unentschuldbares
Desinteresse für seine Verlobte zu erklären versuchte, desto offensichtlicher
wurde es leider für Sheridan, daß ihre Anwesenheit und ihre Krankheit den Earl
anscheinend weniger interessierten als die kleinsten Einzelheiten seiner
Geschäfte und seines gesellschaftlichen Lebens. Und zudem bestand Grund für
die Annahme, er wolle sie eigentlich bestrafen oder ihr eine grausame Lektion
erteilen, weil sie die Frechheit besessen hatte, das Thema Liebe anzuschneiden.
Tagelang hatte sie sich damit
gequält und sich Vorwürfe gemacht, weil sie ihn gefragt hatte, ob er ein Herz
hätte. Als sie jedoch Dr. Whitticombs Vortrag über ihre Gesundheit gehört und
den sorgenvollen Ausdruck in seinem Gesicht gesehen hatte, waren ihre
Schuldgefühle und ihre Verletztheit schließlich gerechtem Zorn gewichen. Sie
war nicht mit dem Arzt verlobt, aber er hatte sich Sorgen um sie gemacht. Er
hatte die Mühe einer weiten Reise auf sich genommen, nur um sie zu besuchen. Wenn
Liebe für blasierte englische Adelige ein albernes, verbotenes Gefühl
darstellte, dann hätte der Earl sie zumindest für ihr verlorenes Gedächtnis
entschädigen sollen!
Sheridan konnte sich überhaupt nicht
vorstellen, welcher Teufel sie geritten hatte, den Earl heiraten zu wollen.
Seine einzige positive Eigenschaft schien zu sein, daß er bemerkenswert gut
aussah, und das war sicher kein ausreichender Grund für eine Eheschließung. Und
wenn sie sich, sobald ihr Gedächtnis zurückkehrte, nicht an Dinge erinnerte,
die ihre Meinung von ihm vollständig änderten, beabsichtigte sie ernsthaft, ihm
zu sagen, er solle seinen Heiratsantrag zurückziehen und ihn einer anderen
Frau machen, einer, die über die Ehe genauso kalt und unpersönlich dachte wie
er. Sie konnte sich jedenfalls kaum vorstellen, daß sie in gesundem Zustand
anders über die Ehe gedacht haben sollte als sie es jetzt tat. Vielleicht hatte
ja ihr Vater geglaubt, der Earl wäre ein guter Ehemann für sie, und darauf
bestanden, daß sie ihn heiratete. In diesem Fall würde sie ihrem Vater
erklären, warum sie sich nun dagegen entschied. Wann immer sie in den letzten
Tagen versucht hatte, an ihren Vater zu denken, hatte
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