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Judith McNaught

Judith McNaught

Titel: Judith McNaught Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Legenden der Liebe
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Papier fallen, als
habe er sich die Finger verbrannt, dann holte er zitternd Luft und wandte sich
zum Gehen. Er würde nie wieder die Geduld mit ihr verlieren, ganz gleich, was
sie sagte oder tat, gelobte er sich. Er hatte kein Recht dazu, verärgert oder
frustriert zu sein; er hatte kein Recht dazu, etwas anderes als Schuldgefühl
und Verantwortung zu empfinden.
    Entschlossen, alles Menschenmögliche
zu tun, um die Kränkung zu heilen, die er ihr mit seiner Vernachlässigung
zugefügt hatte – und ihr noch zufügen würde, wenn sie erfuhr, daß ihr
wirklicher Verlobter tot war –, wandte Stephen sich zur Tür. Da er jedoch mit
seinem Wiedergutmachungsprogramm erst beginnen konnte, wenn sie das Badezimmer
verlassen hatte, warnte er sie mit höflicher, aber fester Stimme:
    »Sie haben noch acht Minuten Zeit.«
    Er hörte, wie das Badewasser ablief,
nickte zufrieden und ging. Als er durch die obere Halle zur Treppe ging,
überlegte er, daß er ihr für seine Vernachlässigung mehr als nur eine
Entschuldigung würde bieten müssen; es galt, eine Erklärung zu finden, die sie
akzeptierte. Bevor sie ihr Gedächtnis verlor, hatte Charise Lancaster offenbar
jugendlich-idealistische Vorstellungen über Liebe und Ehe gehegt, sonst hätte
sie ihn kaum so geradeheraus gefragt, ob sie »sehr verliebt« seien. Innerlich
zuckte Stephen beim bloßen Gedanken an das Wort zusammen. Wie er mit
zunehmendem Alter und Erfahrung entdeckt hatte, waren nur sehr wenige Frauen
wirklich zu Empfindungen oder zu einem Verhalten fähig, das diesem zarten
Gefühl halbwegs nahekam, obwohl fast alle Frauen davon redeten, als gehöre es
zu ihrem Geschlecht wie das Atmen. Instinktiv mißtraute er dem Wort »Liebe« und
jeder Frau, die es in den Mund nahm.
    Helene teilte seine diesbezüglichen
Ansichten, und nicht zuletzt deswegen schätzte er ihre Gesellschaft so sehr.
Darüber hinaus blieb sie ihm auch noch treu, was er von den meisten seiner
weiblichen Bekannten nicht behaupten konnte. Als Gegenleistung dafür
ermöglichte er ihr einen Lebensstil, der der legitimen Ehefrau eines Adeligen
zugestanden hätte. Sie besaß ein wunderschönes Stadthaus in London, zahlreiche
Bedienstete, Schränke voll mit Kleidern und Pelzen, und eine prächtige, silbern
lackierte Kutsche mit fliederfarbenen Samtpolstern – eine Farbkombination, die
als Helene Devernays Markenzeichen galt. Wenige außer ihr konnten diese Farben
tragen, und denen, die es versuchten, gelang es nie, darin auch nur annähernd
so reizend auszusehen wie sie. Sie war klug und sinnlich; und sie kannte die
Regeln und verwechselte Sex nicht mit Liebe.
    Jetzt, wo er darüber nachdachte, kam
ihm, daß noch keine Frau, einschließlich jener, mit denen er lange genug zusammen
gewesen war, um Heiratsgerüchten Nahrung zu geben, es je versucht hatte, ihn in
ein Gespräch über Liebe zu verwickeln. Und keine hatte je von ihm erwartet,
daß er ihr seine Liebe gestand.
    Charise Lancaster jedoch war dafür
offenbar weder praktisch noch vernünftig genug. Sie erwartete ganz klar von
ihrem Verlobten, daß er – und wahrscheinlich auch noch in aller Ausführlichkeit
– mit ihr darüber redete, und das wollte Stephen um ihrer beider Seelenheil
willen vermeiden. Wenn ihr Gedächtnis erst einmal zurückgekehrt war, würde sie
ihn ohnehin für alle Täuschungen hassen. Aber dieser Haß wäre nur noch stärker,
wenn er sie mit falschen Beteuerungen unsterblicher Liebe, die er nicht
empfand, demütigte.
    Als er den Salon erreichte, traten
zwei Lakaien vor und öffneten die Türen. Mit gedankenvoll gerunzelter Stirn
ging Stephen an ihnen vorbei direkt zur Anrichte. Hinter ihm schlossen sich
leise die Türen, und er richtete seine Aufmerksamkeit auf das dringlichste
Problem. Innerhalb der nächsten ein oder zwei Minuten mußte er eine wirklich
plausible Erklärung für sein eklatant liebloses Verhalten an dem Abend finden,
an dem sie zum letzten Mal miteinander geredet hatten, und ebenso für die
Tatsache, daß er sie seitdem gemieden hatte. Als er vorhin nach oben gegangen
war, um sie zu besuchen, hatte er vorgehabt, sich zu entschuldigen und sie mit
ein paar vagen Platitüden zu besänftigen. Jetzt jedoch, wo er ihr Temperament
besser kennengelernt hatte, beschlich ihn der unbehagliche Verdacht, daß sie
sich damit nicht zufriedengeben würde.

Fünfzehntes Kapitel

    Aufgeregt und eilig knöpfte Sheridan das
Vorderteil des langen lavendelfarbenen Kleides im Laufen zu, während sie die
Halle vor ihrem

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