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Judith McNaught

Judith McNaught

Titel: Judith McNaught Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Legenden der Liebe
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Amateurdarbietung in seiner Küche weit
mehr genoß als die professionelle Aufführung im Theater.
    Er überlegte gerade, warum sie ein
Weihnachtslied mitten im Frühjahr sangen, als plötzlich Sherry in den Chor einstimmte.
Der liebliche Klang ihrer Stimme zwischen all diesen Möchtegern-Tenören und
hoffnungsvollen Baritonen verschlug Stephen fast den Atem. Die tiefen Töne
schlug sie mit einer unbeschwerten Sinnlichkeit an, die ihren Behelfschor zum
Strahlen brachte, und wenn die Melodie in die Höhe kletterte, sang sie mit
einer mühelosen Leichtigkeit, die jeden Winkel des Raumes mit der Süße ihrer
Stimme zu erfüllen schien.
    Als das Lied mit einem rauschenden
Akord abschloß, trat ein ungefähr siebenjähriger Page vor und wies auf seinen
verbundenen Unterarm. Er lächelte Sherry schüchtern an und sagte: »Meiner Hand
würd's noch viel besser gehen, Ma'am, wenn ich noch'n fröhliches Lied hören
könnte.«
    Stephen straffte sich und wollte dem
Jungen gerade befehlen, sie nicht zu belästigen, als schon Damson vorsprang.
Stephen dachte, er wolle einen ähnlichen Befehl aussprechen, statt dessen
jedoch sagte der Kammerdiener: »Ich bin sicher, ich spreche für uns alle, Miss,
wenn ich sage, daß Sie uns diesen Abend zu einem unvergeßlichen Erlebnis
gemacht haben, indem Sie uns mit Ihrer Anwesenheit und mit Ihrer – darf ich so
kühn sein zu sagen – exzeptionellen Stimme beglückt haben.«
    Diese lange, blumige Rede entlockte
Sherry ein zögerndes, verwirrtes Lächeln. Sie beugte sich nieder, um den
Verband um den Arm des kleinen Jungen zurechtzurücken. »Mr. Damson meint«,
übersetzte Colfax, der Butler, mit einem verächtlichen Blick auf den
Kammerdiener, »daß wir alle diesen Abend außerordentlich genossen haben, Miss,
und daß wir es sehr zu schätzen wüßten, wenn Sie noch ein bißchen länger
blieben.«
    Der kleine Junge verdrehte bei
diesen Worten die Augen zunächst zum Butler, dann zum Kammerdiener, und
strahlte schließlich Sherry an, die auf seiner Augenhöhe hockte und
stirnrunzelnd die Wunde unter dem Verband betrachtete. »Die beiden meinen, ob
wir bitte noch ein Lied singen, Miss?«
    »Oh«, lachte Sherry, und Stephen
sah, wie sie dem Butler und dem Kammerdiener verstohlen zublinzelte. Sie
richtete sich auf und fragte: »Haben Sie das gemeint?«
    »In der Tat«, erwiderte der
Kammerdiener und sah den Butler finster an.
    »Ich zumindest habe das gemeint«,
antwortete der Butler. »Nun, können wir?« beharrte der kleine Junge.
    »Ja«, sagte sie, setzte sich an den
Küchentisch und zog ihn auf ihren Schoß, »aber dieses Mal höre ich Ihnen zu,
damit ich noch eins von Ihren Liedern lernen kann.« Sie sah Hodgkin an, der
sie anstrahlte und auf weitere Vorschläge wartete.
    »Am liebsten dieses erste Lied, Mr.
Hodgkin, das Sie mir alle vorgesungen haben, über den Pferdeschlitten mit den
Glocken.«
    Hodgkin nickte, hob die Hände, damit
es still wurde, schwenkte dramatisch die Arme, und sofort erscholl ein ausgelassener
Chor. Stephen hörte kaum zu. Er blickte wie gebannt auf Sherry, die den
kleinen Jungen auf ihrem Schoß anlächelte und ihm etwas zuflüsterte. Dann hob
sie ihre Hand an seine Wange und bettete sein schmutziges Gesicht liebevoll an
ihre Brust. Das Bild, das sie boten, strahlte so viel liebevolle Mütterlichkeit
und Zärtlichkeit aus, daß Stephen aus seiner Erstarrung erwachte und in
unerklärlicher Angst, das Bild aus dem Gedächtnis zu verlieren, vortrat. »Ist
denn schon Weihnachten?« sagte er und brach mitten in die heimelige Szene.
    Wenn er in beiden Händen geladene
Gewehre gehalten hätte, hätte sein Erscheinen keine lähmendere Wirkung auf die
fröhliche Versammlung im Raum erzielen können. Fünfzig Dienstboten hörten
schlagartig auf zu singen und begannen, sich rückwärts aus der Küche zu
drängen, wobei sie sich in ihrer panischen Eile gegenseitig umrannten. Selbst
das Kind auf Sherrys Schoß entwischte, bevor sie es festhalten konnte. Nur
Colfax, Damson und Hodgkin zogen sich würdevoller – allerdings auch äußerst
vorsichtig – zurück und verbeugten sich dabei die ganze Zeit.
    »Sie haben ziemliche Angst vor
Ihnen, nicht wahr?« fragte Sherry. Sie freute sich so sehr über seine frühe
Rückkehr, daß sie ihn anstrahlte.
    »Offenbar nicht genug, um auf ihren
Posten zu sein«, erwiderte Stephen, mußte dann aber doch lächeln, weil sie so
schuldbewußt aussah.
    »Das war meine Schuld.«
    »Das habe ich auch angenommen.«
    »Woher wußten Sie

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