Judith McNaught
Schwestern.
»Ich hoffe, sie schmeckt Ihnen«,
wiederholte sie zweifelnd, während sie zum vorderen Teil des Hauses gingen.
»Bestimmt«, erwiderte Stephen
unaufrichtig. Heiße Schokolade hatte er das letzte Mal getrunken, als er noch
im Laufstall gesessen war. Heutzutage zog er um diese Uhrzeit eher ein Glas
alten Brandy vor.
Aus Sorge, sie könne seine Gedanken
erraten, fügte er betont begeistert hinzu: »Sie riecht köstlich. All diese
Lieder über Schnee und Weihnachten haben mir wahrscheinlich Appetit darauf
gemacht.«
Neunzehntes Kapitel
Stephen trug das verzierte Silbertablett
den Gang entlang in den Salon, vorbei an drei gaffenden Lakaien. Colfax stand
auf seinem üblichen Posten an der Eingangstür und eilte mit der offenkundigen
Absicht herbei, ihm das Tablett abzunehmen, aber Stephen hinderte ihn daran
mit der spöttischen Bemerkung, sie hätten sich bereits ohne jede Hilfe selbst
versorgt, und er sähe keinen Grund, das jetzt, wo die meiste Arbeit bereits
getan sei, zu ändern.
Sie hatten den Salon fast erreicht,
als der Türklopfer mehrmals fest und nachdrücklich betätigt wurde. Stephen
hatte Anweisung gegeben, allen Besuchern mitzuteilen, er sei nicht zu Hause,
und schenkte deshalb dem Geräusch keine Beachtung. Einen Augenblick später
jedoch hörte er einen Chor fröhlicher Stimmen, und sein Herz sank.
»Er muß zu Hause sein, Colfax«,
sagte Stephens Mutter zum Butler. »Als wir vor zwei Stunden in London ankamen,
fanden wir eine Nachricht von ihm vor, er habe die Absicht, sich aufs Land
zurückzuziehen. Wenn wir nicht ein paar Tage früher angekommen wären, wäre er
schon weg gewesen. Also, wo steckt er?«
Leise fluchend drehte sich Stephen
genau in dem Augenblick um, als sein Bruder, seine Schwägerin und einer ihrer
Freunde zusammen mit seiner Mutter den Salon betraten – eine ganze Flotte, die
entschlossen in den Kampf gegen sein gesellschaftsfeindliches Verhalten, wie
sie es nannten, segelte.
»Ich dulde das nicht länger, mein
Liebling!« verkündete seine Mutter und trat auf ihn zu, um ihm einen Kuß auf
die Wange zu drücken. »Du bist zuviel ...« Ihr Blick fiel auf Sherry, und lahm
beendete sie ihren Satz, » ... allein.«
»Absolut zuviel!« erklärte Whitney
Westmoreland, die mit dem Rücken zum Zimmer stand, da Colfax ihr gerade aus dem
Mantel half. »Clayton und ich beabsichtigen, dich zu jedem wichtigen Ball und
Ereignis in den nächsten sechs Wochen mitzuschleppen«, fuhr sie fort und hakte
sich bei ihrem Ehemann ein. Nach zwei Schritten blieben sie stehen.
Stephen sah Sherry, die vollkommen
verwirrt und verständnislos dreinblickte, entschuldigend an und flüsterte:
»Keine Angst. Sie werden Sie schon mögen, wenn sie sich erst einmal von ihrer
Überraschung erholt haben.« Innerhalb weniger angespannter Sekunden bedachte
Stephen in Windeseile jede plausible und unplausible Methode, das anscheinend
unvermeidliche Desaster abzuwenden. Da er Sherry jedoch nicht bitten konnte,
den Raum zu verlassen, während er alles erklärte – das hätte sie nur gedemütigt
und aufgeregt –, blieb ihm nur die Wahl, zu improvisieren und die Farce in
Gegenwart seiner Familie vorläufig aufrechtzuerhalten. Später, wenn Sherry zu
Bett gegangen war, würde er ihnen dann die Wahrheit erklären.
Mit diesem Plan im Kopf schickte
Stephen einen warnenden Blick zu seinem älteren Bruder, damit dieser ihn unterstützte,
aber Claytons amüsierte Aufmerksamkeit war auf Sherry und das vergessene
Tablett in Stephens Händen gerichtet. »Sehr hausfräulich, Stephen«, bemerkte
Clayton trocken.
Ungeduldig stellte Stephen das
Tablett ab und blickte zur Tür, wo Colfax stand und auf Anweisungen für
Getränke wartete. Er nickte ihm nachdrücklich zu, sie sofort zu bringen. Dann
wandte er sich an die wartende Gruppe und begann mit der Vorstellung. »Mutter,
darf ich dir Miss Charise Lancaster vorstellen?«
Sherry sah ihre zukünftige
Schwiegermutter an, merkte dann, daß sie gerade einer Herzogin vorgestellt
wurde, und geriet prompt in Panik, weil ihr nicht einfiel, was sie sagen
sollte. Sie warf Stephen einen entsetzten Blick zu und flüsterte durchdringend
in der erwartungsvollen Stille des Zimmers: »Genügt ein gewöhnlicher Knicks?«
Stephen legte seine Hand unter ihren
Ellenbogen, teils, um ihr zu Hilfe zu kommen, teils, um sie nach vorne zu
schieben, und lächelte sie beruhigend an. »Ja.«
Sherry sank mit zitternden Knien in
einen Knicks, dann raffte sie mehr Mut zusammen, als sie
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