Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
Vom Netzwerk:
nicht, wie Du Dich mit denen auf eine Stufe stellen kannst!» Ich habe mich sehr über diesen Blödsinn geärgert und habe ihn gar nicht beachtet. Als das Mädchen wegging, war ich so ungefähr fünf Jahre alt.
    Und zum Kindergarten, der so weit entfernt lag, haben meine Eltern mir damals keine Begründung genannt.
    Und wenn ich schrieb: jeden Tag woanders, dann meinte ich, daß ich nach der Schule an einem Tag nach Essen-Katernberg zum Geschäft fahren mußte, am nächsten Tag nach Hause in die Wohnung gehen durfte, am nächsten und übernächsten Tag tagsüber bis abends beim Lehrer essen und etwas schlafen mußte und an einem Tage zu meiner Oma nach Werden ging und dort schlief.
    ***
    [Nach Erhalt des zuletzt zitierten Briefes vom 18.   März habe ich Herrn und Frau Bartsch zu Hause in der Siedlung «Glaube und Tat» besucht – es blieb das einzige Mal. Nach meiner ersten Veröffentlichung über den Prozeß hörte ich, daß ich dort nicht mehr willkommen war. Neben der Haustür, diskret kaschiert, hatte Herr Bartsch an der Mauer einen Automaten anbringen lassen, wo die Nachbarn Wurst usw. zu jeder Stunde kaufen konnten. Im Wohnzimmer fand ich alles genau so sauber und steril, wie Jürgen es immer wieder beschrieben hat. Ein winziges Detail ist mir in Erinnerung geblieben. Ich hatte in Zusammenhang mit Jürgen ein Buch empfohlen, und seine Eltern wollten den Titel aufschreiben. Die Suche nach einem Stück Papier dauerte auffallend lange; schließlich fanden sie etwas: einen Block von Rechnungsformularen aus dem Metzgereigeschäft.]
     
     
    Wuppertal, den 16.   4.   68
     
    Dear Mr.   Moor!
    … Was für ein Verhältnis ich zu demjenigen hatte, der von mir die Mark bekam? Das ist leicht zu sagen. Ein schlechtes wie zu allen anderen «Kameraden». Keine Freundschaft oder so, wir sprachen auch nicht viel miteinander, es sprach ja sowieso kaum einer mit mir. Hätte er die Mark nicht von mir bekommen, hätte er mich genauso vermöbelt wie die anderen. Sie müssen dabei wissen, daß ich damals der Kleinste in der Klasse war, und die Kleinsten haben von vornherein schon einen sehr schweren Stand.
    Eben, «mancher liebt, kann aber seine Liebe nicht zeigen», soweit haben Sie mich ganz richtig verstanden. Mit dem Ausdruck «Ich kann mir keine besseren Eltern vorstellen» habe ich allerdings etwas ganz anderes gemeint, als man wohl glauben muß, wenn man es liest. Damit habe ich lediglich gemeint, daß ich niemand kenne, der umsichtiger, vorsichtiger usw. für das (wohlgemerkt: leibliche) Wohl seines Kindes gesorgt hat. Nur das meinte ich. Es liegt meinem Gefühl nach sogar etwas Tragik in solchen Dingen. Etwa so: Wer innerlich aus dem Gleis geraten ist, sucht Zuflucht in reinen Äußerlichkeiten (Putzteufel meiner Mutter), und: Wer seinem Kinde nicht zeigen kann, daß er es liebt, der sorgt dann, um es, unbewußt vielleicht, auszugleichen, in übertriebenem Maße für die materiellen Dinge, die das Kind betreffen. Selbst wenn es nur zum Spielen auf die Straße geht, wird es wie sonntags, bzw. wie ein Pfau herausgeputzt (Die Erwachsenen sagen «ach, ist der süß!», die anderen Kinder sagen: «mit so einem feinen Pinkel spielen wir nicht!»), und wenn es hinterher irgendwo einen Schmutzfleck hat, gibt es Gezeter u. Prügel.
    Dabei war ich froh, wenn ich mal aus der Kellerwohnung herauskam. Die Fenster waren alle vergittert, eine drei Meter hohe Mauer war um das Haus herum, und nie, solange ich dort war, sind wir ohne künstliches Licht ausgekommen.
    «Auf eine Stufe» habe ich mich mit allen Angestellten gestellt, weil ich es nämlich nicht verstehen konnte, warum diese Menschenso anders, sprich: schlechter als wir, sein sollten. Wenn ich sie fragte, was das eigentlich heißen solle, daß ich nicht «so privat mit ‹denen› sprechen sollte und mich überhaupt nur geschäftlich mit ihnen befassen sollte», dann ist mir eigentlich nur gesagt worden, daß man das eben nicht tue. Dieser neureich-snobistische Ausdruck «auf eine Stufe stellen» hat mich ganz besonders gefuchst.
    Mit der Schule war es doch genauso. Mit Kindern, die meine Mutter nicht leiden konnte, durfte ich nicht spielen. Erst in der Goethestraße war es nicht so schlimm, aber später in der Siedlung hat sie es mir ziemlich genau vorgeschrieben.
    Nun muß ich sagen, daß meine Mutter mir dort in dem letzten Schuljahr immer meist nur noch gesagt hat, ich solle mit Gleichaltrigen spielen. Da hat sie dann sicher auch recht gehabt. Nur war es reinweg nicht

Weitere Kostenlose Bücher