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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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auch nicht mit den Mädchen, die in der Küche waren; und es gab einige Patres, die zu Boden schauten, wenn sie sich mit einer Frau unterhielten (um keine unkeuschen Gedanken zu bekommen). Solange ich da war, hörten wir in der Schule nur von einer Frau, der mit dem groben Bauernkittel, kernseifensauber, Wollstrümpfe, still leidend und Mutter in Permanenz. Sekretärinnen, Stennotypistinnen [sic] oder dergl. gab esnicht; es war nun einmal eine andere Welt. Dagegen erzählte Pater Pütlitz sehr oft (oder auch etwas öfter) in allen Einzelheiten von grausamen Massenmorden an Juden im dritten Reich und zeigte uns auch viele Bilder davon. Er schien es nicht ungern zu tun; die ganze Größe dieser Untaten wurde uns natürlich damals nicht bewußt, und so empfanden wir es als ganz «interessant», und stellten (nach vorheriger Absprache) eine ganze Anzahl ‹Fragen›, die aber nur dem Zweck dienen sollten, dies Thema so lang als möglich zu verlängern, «denn sonst müssen wir rechnen, und das ist noch viel blöder».
    Damals hatte ich, wie wohl alle Jungen in dem Alter, Lust, einmal mit einem Klassenkameraden etwas «Versautes» zu tun, wie es ja auch die meisten schon mal taten. Aber ich schaffte es nicht, weil ich zuviel Angst hatte. Wer erwischt wurde, und das kam öfter mal vor, wurde als «Dreckschwein», «Verbrecher» usw. furchtbar verprügelt und schikaniert, und oft «flog» man auch.
    Etwas später schon, etwa zurzeit, als ich mit Detlef B. ausriß, merkte ich natürlich, daß etwas nicht stimmte. Das beste und furchtbarste Beispiel dafür ist doch die Sache mit dem Zug, davon wissen Sie ja schon.
     
    In Marienhausen habe ich zum erstenmal in meinem Leben eine Freundschaft gehabt. Es war ein Junge, der auch aus Essen kam. Meine Eltern kannten seine Mutter. Das war praktisch der einzige Freund, den ich bis dato überhaupt gehabt habe. Es war eine richtige Freundschaft, aber nicht in dem Sinne, daß ich Kontakt gesucht hätte und den so gefunden hätte. Dazu war ich nicht fähig. Er war genauso ein Einzelgänger wie ich, und wir haben uns zusammengefunden. Er kam kurz nach mir, und er stand immer in der Ecke und heulte, so furchtbares Heimweh hatte er.
    Ich habe Mitleid mit ihm gehabt. Ich fragte ihn, wo er herkam und wer er war. Es hieß Detlef. Und so hat sich eine Freundschaft entwickelt. Wir waren beide in der sechsten Klasse. Die direkte Freundschaft hat in der siebenten Klasse aufgehört, wir haben uns getrennt, obwohl wir weiter da waren. Wir haben uns getrennt,wahrscheinlich weil die Freundschaft so vermiest wurde, weil sie da eben ihre Augen überall hatten und weil sie immer hinterher waren, daß niemand besonders mit einem Anderen zusammen war. Man wurde schikaniert deswegen – «Na, bist du schon wieder mit dem zusammen?»   –, und da kriegte man ein paar in die Fresse, und dann hörte man schon auf.
    Im gewissen Sinne sind wir sicherlich auseinander gebracht worden. Bei mir ist es so gewesen, daß ich diesen Jungen, weil ich einen richtigen Freund niemals gehabt hatte, praktisch in Beschlag zu nehmen versuchte. Wenn er einen anderen Jungen ansah oder mit ihm sprach oder spielte, wurde ich wütend. Jeden zweiten Tag haben wir uns verkracht, und jeden zweiten Tag sind wir wieder zusammengekommen. Wenn ich eine Wut auf ihn hatte, sagte ich: «So, jetzt mache ich dich fertig!» Und wenn ich dann mal ein Freßpaket von zu Hause bekam und wir uns verkracht hatten, habe ich einen oder zwei Beutel Bonbons aus dem Paket genommen und an die anderen Jungs verteilt und dafür gesorgt, daß Detlef kein einziges mitbekam. Dann heulte er, und ich sagte ihm: «Ja, du mußt nur zu mir lieb sein», und dann ist er wieder gekommen.
    Wenn wir uns verkrachten, war ich ganz niedergeschlagen, und wenn ich in der Kirche war, da habe ich richtig gebetet: «Lieber Gott, mache, daß wir wieder zusammenkommen.» Aber auf die Dauer konnte das auch nicht gut gehen, von der einen Seite wie von der anderen.
    Ich habe auch eine andere Methode gehabt, um ihn klein zu kriegen, wenn er nicht nur mit mir zusammen sein wollte. Dann habe ich gesagt: «Ich sage deiner Mutter, daß du damals mit dem Mann da oben auf der Kammer im Heim zusammen warst, daß er Schweinereien mit dir machte.» Da ist nämlich damals ein Mann auf dem Heim gewesen, der sich an ihm vergangen hatte. Ich bin derjenige gewesen, der das damals aufbrachte. Detlef hat mir das damals erzählt, und ich war so empört darüber, daß ich sofort zum Lehrer ging. Zwei

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