Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
Vom Netzwerk:
möglich! In meiner Klasse dort waren fast alle Jungen in meinem Alter nicht aus der Siedlung. Das war ganz blöd, denn die Kinder waren meist mindestens entweder drei Jahre jünger oder zwei Jahre älter als ich. Da habe ich immer nur mit den jüngeren gespielt. Mit gleichaltrigen ‹konnte› ich es sowieso nie sehr gut. Außerdem sprachen sie schon viel über Mädchen, und das Thema langweilte mich und «ödete» mich an. Ich habe also nicht allein deswegen mit den Jüngeren gespielt, um mich aufzuspielen; es blieb mir gar nicht viel anderes übrig.
    Einmal, als ich etwa siebzehn Jahre alt war, habe ich mich mit einem Mädchen zusammengetan. Sie hieß Heide, und ich bin mit ihr gegangen, um sexuell völlig normal zu werden. Sie war vielleicht fünfzehn. Ich habe sie nicht einmal an die Brust gefaßt. Das ist das Blödsinnige, auf diese Idee bin ich überhaupt nicht gekommen. Ich habe sie geküßt, aber es war kein Petting.
    Eines Tages habe ich mir gedacht: Ja, nun, vielleicht versuchst du mit ihr da irgendwie, wenn schon, denn schon. Auf einem Spaziergang, dachte ich, dann fragst du sie mal: «Hier, willst du oder willst du nicht? Wollen wir zusammen schlafen oder nicht?» Im Wald oder so. Ich habe es auch versucht. Ich habe sie gefragt, und – naja, das Übliche.
    Das heißt, ich weiß nicht, ob das das Übliche ist. «Nein, was wird meine Mutti sagen!» und so fort. Ich habe dann recht schnell nachgegeben, denn dieses ganze Fragen, «Willst du mit mir schlafen?» – das war doch eher eine Pflichtübung, von der ich dachte, daß ich es eben machen mußte. Ich habe sie um Gottes willen niemals, nicht im entferntesten ausgezogen. Mir war immer völlig der Hals zu, die ganze Zeit. Es war nicht eklig, es hat mich nicht verabscheut [sic], aber es sagte mir nichts Besonderes. Was ein richtiger Kuß ist, das weiß ich wahrscheinlich bis heute nicht. Schade.
    Im Vergleich zwischen einem Kinderkuß und einem Liebeskuß müßte man den Liebeskuß geübt haben, und, ja nun, besonders viel habe ich nicht geübt. Es ist natürlich vorgekommen, daß meine Mutter mir mal einen Kinderkuß gab. Das war eben immer bei den Gelegenheiten, wo es knapp vorher ein paar ins Gesicht gegeben hatte. Wenn meine Mutter – sehr selten – mal auf diese Art zärtlich geworden ist, dann war das eine Sache von höchstens einer Minute, und danach völlige Abkehr nicht zum Bösen hin, sondern zum Gleichgültigen.
    Die ersten Kinder habe ich nur geschlagen, angefaßt und ausgezogen. Bis zum Gedanken allein, ein Kind umzubringen, ist ja ein ziemlich erheblicher Schritt, aber auch nur ein Gedanke. Ich könnte nicht sagen, daß es irgendeine Etappe gegeben hätte. Der Gedanke ist von einer Sekunde auf die andere da. So einen Übergang könnte ich da überhaupt nicht nennen. Einmal bin ich durch den Wald marschiert. Die Straße führte von unserer Siedlung in Richtung Nierendorf. Ich weiß nicht, ob das das erste Mal war, aber das ist die erste Erinnerung, die ich noch heute habe. Da dachte ich: «Ja, warum stellst du dich jetzt nicht einfach in den Wald und wartest, bis ein passender Junge da nun eben vorbeikommt, und dann schnappst du ihn und reißt ihn von der Straße weg und schleifst du ihn in den Wald rein und ziehst ihn aus und bringst ihn um? Warum machst du das eigentlich nicht?» Der Gedanke war: «Warum machst du es nicht?» – eigentlich einfach «Warum nicht?» Die Antwort auch: «Ja, warum nicht?»
    So läppisch und lächerlich war es natürlich nicht. Sexuelle Erregung und so habe ich schon dabei gehabt, eine gewisse innere Erregung. Es war das Gefühl der Aufregung, so wie ich sie später hatte, wenn ich einen Jungen auf der Straße sah – schwitzen, die Knie weich und so. Da im Wald habe ich mich ein paar Stunden hingestellt und habe gewartet. Mehrere Tage habe ich das gemacht, aber das war so blödsinnig, so völlig idiotisch, natürlich hat es nicht geklappt. Aber meine Sexualität war viel stärker, als das normal gewesen wäre, und wenn man von solcher Sexualität gepackt wird, da war es einmal schon so, daß es in dem Moment völlig normal erschien.
    Es ist also ein Unterschied, ob ich nüchtern bin, dann lehne ich das genau wie jeder Andere ganz genauso scharf ab, vielleicht noch ein bißchen stärker, es geht ja gar nicht stärker abzulehnen. Aber wenn ich nun wirklich sexuell erregt bin, dann gibt es für mich nichts Normaleres als eben solche Gedanken. Ich find sie dann selbstverständlich. In der Phantasie heißt das,

Weitere Kostenlose Bücher