Jürgen Klopp: Echte Liebe
Christian Hocks Spielern auf dem Platz zusammengebrochen. Zum Glück war der Mannschaftsarzt der Wormser in der Nähe und konnte helfen. Um Geld zu sparen, müssen sie bei Hessen Kassel ihren Arzt bei den Auswärtsspielen zu Hause lassen.
Der Unterschied, ob man eine Mannschaft in der Champions League oder in der vierten Liga trainiert, ist groß. Das Meiste aber ändert sich nicht. Der Erfolg oder Misserfolg wird am Trainer festgemacht, der hilflos an der Seitenlinie steht, wenn darüber bisweilen Kleinigkeiten entscheiden. Und wie der Job einen auffrisst, aber wie man sich nach diesem Job sehnen kann, wenn man entlassen wurde. Christian Hock ist jetzt seit sechs Jahren Trainer. Am 18. Oktober 2011, einige Wochen nach unserem Gespräch, wurde er in Kassel beurlaubt. Die Mannschaft und er waren von Kasseler Fans angefeindet worden. Christian Hock hatte sogar eine Morddrohung bekommen.
Mit Wehen Wiesbaden stieg er 2007 fünf Spieltage vor Saisonende in die Zweite Liga auf. Er brauchte zwingend die Fußballlehrer-Lizenz, um weiter arbeiten zu können. Montags bis donnerstags war er beim Lehrgang in Köln. Es kam vor, dass er seine Mannschaft am Freitag zum ersten Mal in der Woche sah und sie am selben Tag schon um 18 Uhr zum Spiel antrat. Fast alle, die mit dieser Doppelbelastung klarkommen mussten, haben sich aufgerieben. Ihm ging es nicht besser. Er wurde entlassen. Den Fußballlehrer machte er zu Ende, die meisten seiner ehemaligen Lehrgangskollegen sind derzeit arbeitslos. Sein Nachfolger in Wehen wurde: Wolfgang Frank. »Ein komisches Gefühl« sei das gewesen, erinnert sich Hock.
Der Trainer Jürgen Klopp war eine Notlösung. Christian Heidel, der Manager des Zweiligisten FSV Mainz, fand an Fastnacht 2001 keinen Nachfolger für Eckhard Krautzun, nur den Klopp, der als Spieler seine beste Zeit hinter sich hatte. Klopp sollte Mainz ein Spiel coachen, dann zwei, und dann noch ein paar – Jahre. Mit Aufs und Abs, die Aufs überwiegen.
von Roger Repplinger
Als Spieler ganz ordentlich – als Trainer außergewöhnlich
Mit hoch gekrempelten Hosen stehen Kinder im Fastnachtsbrunnen. In dem Becken des Brunnens liegt kein Münzgeld, sondern die Alufelge eines VW. Eine Mutter hält ihren Kleinen so ins Wasser, dass dies seine Zehen kitzelt. Das gefällt ihm. Vor dem Eiscafé »de Covre« sitzen Pärchen, essen Erdbeer-Becher mit Sahne, und haben diesen Gesichtsausdruck: »Den Tag heute hat uns der liebe Gott geschenkt, und es ist der letzte in diesem Jahr. Dann wird es dunkel.« Im mittleren Teil des etwas schlauchartigen Platzes stehen rote Steinbänke, auf einigen sitzen Männer in einem undefinierbaren Alter und zeigen den festen Willen, die Schönheit der Welt, die heute ihr Maximum erreicht, durch das Saufen aus Tetra Paks zu steigern.
Ein Herr Friedl verspricht auf Zetteln, die an Laternenpfählen hängen, geistige Fitness bis ins hohe Alter durch Bridge, »das faszinierende Kartenspiel zu viert«. Das Wehrbereichskommando sitzt in einem der vorbildlich restaurierten alten Häuser, die im Zweiten Weltkrieg stehen geblieben sind, das Landesamt für Denkmalpflege, die Industrie- und Handelskammer Rheinhessen und das »Unterhaus«, ein renommierter Veranstaltungsort für Kleinkunst, auch.
Schillerplatz
Der Chef, der dem Platz den Namen gegeben hat, ist auch da: der junge Friedrich Schiller, mit den Augen des späten 19. Jahrhunderts gesehen und in Bronze gegossen, in der Pose des Dichterfürsten. Aber im Grunde gehört der Platz den Narren, denn er befindet sich in Mainz. In einem schlauen Buch steht geschrieben, dass sich an der Stelle, wo früher das »Café Neuf« stand, in dem im März 1905 acht junge Männer den FSV Mainz 1905 gründeten, eine Wetterstation befinden soll. Von der Wetterstation ist nichts zu sehen, an das Café erinnert nichts mehr.
Erinnerung ist keine objektive Abbildung der Vergangenheit, das bekommen ja nicht mal die Historiker hin. Bei der Erinnerung spielt eine Rolle, wie derjenige, der sich erinnert, die Ereignisse, um die es geht, damals bewertet hat, und wie er sie heute bewertet, und wie er seine damalige Bewertung heute einschätzt. Hat er seinen Frieden gemacht? War das überhaupt notwendig?
Wenn alle in Mainz, die sich erinnern, den Trainer loben, kann der vom 28. Februar 2001 bis 30. Juni 2008 nicht alles falsch gemacht haben.
Heidels Büro
Im Büro von Christian Heidel in der Geschäftsstelle des FSV Mainz im Dr.-Martin-Luther-King-Weg, erinnert manches an Jürgen Klopp.
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