Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
Deutschlands). Die Bühne platziert in einer lang gezogenen Familienfreizeitanlage entlang des Flüsschens Alb mit Blick auf einen Hügel, der zumindest am Samstag des dreitägigen Sommerspektakels grundsätzlich mit bis zu 40.000 durchweg friedlichen und für vielerlei Musikrichtungen empfänglichen Menschen gefüllt war. 1985 hatte „Das Fest“ ganz klein mit einer Bühne, einem Bierstand und regionalen Bands angefangen. 1997 hatte es zum ersten Mal wirklich internationale Dimensionen, die „Simple Minds“ sprengten den bisherigen Rahmen, und Jürgen (damals gerade im Badischen angekommen) kannte deren Drummer Mel Gaynor. Mit dem machte er schnell einen Ehrenplatz direkt neben dem Drum-Monitor aus. So schaute er sich den Auftritt der Simple Minds an, und so sah er zum ersten Mal diesen wahnsinnigen Hügel voller glücklicher Menschen, die zum Teil schon tags zuvor dort mit eigens bemalten Fahnen Platz genommen hatten. Noch völlig berauscht von diesem Anblick rauschten die beiden direkt nach dem Simple Minds-Auftritt mit Lichthupe in Jürgens Auto vom Gelände. „Hey, spinnt Ihr?“ Klar spinnen wir. Drei Jahre lang hatte Jürgen baggern müssen. Mal gab es Probleme mit dem sogenannten Gebietsschutz. Der besagt, dass eine Band nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraumes auf einem kostenlosen Konzert auftreten darf, wenn ein Veranstalter in der Umgebung sie für ein Konzert gebucht hat, bei dem Eintritt bezahlt werden muss. Oder es passte gerade nicht in die Tourplanung, oder, oder, oder. Als es dann soweit war an diesem 14. Juli, zeigte sich das Wetter von seiner zöllerfeindlichsten Seite. „Nein, das darf doch nicht wahr sein, jetzt spielen wir endlich hier und dann regnet das so“, grummelte der Trommler ungut zappelnd den ganzen Vormittag vor sich hin. Mittags um vier kamen die anderen, und Karlsruhe war immer noch ein meteorologischer Brückenkopf der irischen Westküste.
Noch beim Soundcheck sah es eher nach Schlammschlacht aus, aber dann griff wieder die alte Regel „Der Wettergott ist ein Kölner“. Kaum war die Band auf der Bühne, rissen die Wolken auf, und Jürgen schaute ungläubig auf den Platz. Da wo eben noch enttäuschende Leere geherrscht hatte, ging plötzlich eine Stampede los und der Platz füllte sich binnen weniger Minuten. Da waren sie dann wieder, die beinahe 40.000. Zappel-Skala? Sehr hoch. Bei „Jradduss“ wogte und wiegte der Hügel, alle sangen. Hinein in einen Caspar David Friedrich-Sonnenuntergang. „Bliev do wo de bess, halt dich irjendwo fess …“, scholl es hinunter zur vibrierenden Bühne. Jürgen brüllte zurück: „Kaaarrlsruuuuh …!“ Es war ihm ein Herzensanliegen.
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Freischwimmer: Aff un Zo
BAP war nach dem Ende der Heuser-Ära von einem Gutteil der Presse totgesagt worden, zumindest hat Wolfgang Niedecken das in einem Interview in der Rückschau einmal so eingeschätzt. Die
Ton-film
-Erfahrung hatte die neue Band zusammenwachsen lassen, aber das war noch nicht BAP gewesen, wie sie die Leute kannten und liebten. Die, die „affrocke“ konnten, ohne angezogene Bremse. Das ging Jürgen durch den Kopf, als er im Januar 2001 den deutschen Winter gegen ein Studio in Mallorca eintauschte, das die Technik-Crew in eine alte Villa hineingehämmert, hineingesägt und hineinverkabelt hatte. Und da war die Frage, wie das nun bei den Leuten ankommen würde, plötzlich in seinem Kopf. Das kannte er sonst eigentlich nicht. Wie würde das nun alles bei den Leuten ankommen? Wie in der Gerolsteiner Schrecksekunde spürte Jürgen auch in diesem Moment die Last der Verantwortung: Das, was die Leute unter BAP verstehen, das werden wir jetzt repräsentieren müssen. Ob es den anderen auch so ging? Er konnte es nur ahnen. Die Voraussetzungen waren prima. Der Löwenanteil der Songs für
Aff un zo
stammte von Helmut Krumminga, der Rest von Jens Streifling respektive Wolfgang Niedecken, alles war gut eingeprobt zu Hause in der Eifel im eingeschneiten Proberaum im Winter 2000. Zwischendurch kam Wim Wenders schon mal vorbei, um ein paar Tipps zu geben und beinahe hätte er sogar Daniel Lanois dazu gekriegt, das Album zu produzieren. In seiner Absage stand, er hätte in den letzten Jahren ständig andere Leute produziert, jetzt müsse er mal sein eigenes Album machen. Man sollte nicht traurig sein, Mick Jagger habe er die gleiche Antwort gegeben. Aber er hätte die Demos gehört und würde ihnen raten, sich nicht in zu vielen Stilrichtungen zu verdribbeln. Vier Monate im
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