Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
vernünftig gewesen in einer solchen Situation, aber auch höchst peinlich. „Moment, das kannste jetzt nicht machen, das ist scheiße, wir dürfen jetzt nicht abbrechen!“ Schlagartig war ihm klar, während er vor rund 15.000 Leuten das längste Konzert-Intro der Rockgeschichte spielte: Wir stehen jetzt für das, was den Namen BAP repräsentiert, also Augen zu und durch! Der Gedanke siegte, während Helmut fummelte und fummelte, drehte und drehte, schwitzte, bis dem Verstärker wieder Töne entfleuchten. Ab da war es okay, und das
Greatest
Hits-Programm funktionierte auch ohne Major.
Im Jahr 2000 war Jürgen schon ein überzeugter Wahl-Karlsruher geworden, und sagte auch jedem, dass er hier bleiben würde. Er hatte sich mit seiner Frau im ältesten Karlsruher Stadtteil Durlach eine Wohnung gesucht. Durlach ist Mittelalter, verwinkelte Gässchen, viel Fachwerk, mediterrane Hinterhöfe, kleine Kneipen, also ziemlich genau das Gegenteil von eher hektischen Städten wie Frankfurt und Köln, wo er in den vergangenen zwei Jahrzehnten seine „Heimspiele“ absolviert hatte. Der „Kranz“, eine urige Bierkneipe, auf deren winziger Bühne man auch mal mit ein paar ortsansässigen Musikern jammen konnte, war ab jetzt sein verlängertes Wohnzimmer. Natürlich lernte er schnell all die im positiven Sinne Verrückten im Stadtteil kennen – die entscheidenden Durlacher Originale. Angefangen von der Marktfrau auf dem Marktplatz, über den Puppenspieler, der so nebenbei eine Sammlung fein herausgeputzter edler Kutschen pflegt, bis zum Schriftsteller, der mit Leidenschaft und einem Zettel bewaffnet durch die Geschäfte zog, um die Inhaber auf falsche Grammatik in ihren Auslagen und Werbebotschaften hinzuweisen.
Kein Wunder also, dass Jürgen die Heimspiele des Jahres 2000 besonders genoss. Obwohl beide unter ganz besonderen Rahmenbedingungen litten. Am 6. April wurde die ganze Band auf der Bühne des Brahmssaales der ehrwürdigen Karlsruher Stadthalle seekrank. Dazu muss man wissen, dass der große Saal quasi als eigene Konstruktion freischwebend in die Gesamtarchitektur der Halle eingehängt ist, und einen „elastischen“ Boden hat, der gerne mitschwingt, wenn das Publikum mitschwingt. Beim Soundcheck war noch kein Publikum da, also verhielt sich der Saal ruhig. Dann kam das Konzert – und obwohl es die eher brave
Tonfilm-Tour
war, bei der das Publikum zunächst einmal nur im Sitzen in Raserei geraten sollte und konnte, sah Jürgen schon beim zweiten Song die sonst so standfeste Hi-Hat aus der Reihe tanzen. Jedenfalls leicht tänzeln. Hatte er schlecht geschlafen? Was war denn das? Ob die anderen das auch sahen? Oh ja, er sah, dass sie sahen. Alles war am Schwanken, schließlich auch die PA-Türme, und zwar langsam. Jürgen schaute auf die Hi-Hat, schaute auf die PA, in die Fragezeichengesichter der Kollegen. Ihm wurde schlecht. Die Crew hatte alle Hände voll zu tun, die Boxen festzuzurren, damit kein Unglück passierte. Nach dem Konzert erzählte ihm sein Schwiegervater, er habe, schließlich war er Ingenieur und deshalb umso mehr beunruhigt, schon den Plan erwogen, einen Verantwortlichen zu suchen und zum sofortigen Abbruch des Konzertes zu bewegen. Richtig beruhigen konnte er sich erst wieder, als man ihm die technischen Gegebenheiten unterhalb des Saales gezeigt hatte. Jürgen erinnerte sich während dieses stürmischen Gigs noch einer andere Geschichte von direkter Einwirkung verschärften Rock’n’Roll-Gewitters aufs Gebäude: Es war bei einem der Warm Up-Konzerte der
X für e U
-Tour, Ort des Geschehens war damals eine Diskothek im ersten Stock gewesen, im Erdgeschoss befand sich unglücklicherweise ein Laden mit schönen, teuren italienischen Schuhen. Die Band also hub an, nach drei, vier Takten kam die Hüpfbegeisterung des Saalpublikums nach, die PA fiel in die Begeisterung ein, begann im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitzuwippen, bis die Techniker sie mit Spanngurten festzurrten. Als Jürgen und seine Kollegen nach dem Konzert am Schuhladen vorbeiliefen, konnten sie das Ergebnis ihrer Klangerzeugung in den erleuchteten Auslagen betrachten: kein einziger Schuh stand mehr im Regal.
„Die Location ist der Hammer. Verstehe jetzt, warum Jürgen jahrelang gequengelt hat, hier zu spielen …“, schrieb Wolfgang Niedecken unter dem Datum des 14. Juli 2000 in sein Logbuch. Gemeint war „Das Fest“ in der Karlsruher Günter Klotz-Anlage, das (nach der Bonner „Rheinkultur“ wohl zweitgrößte Open Air-Event
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