Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
notorisch fröhliche Popkapelle Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich. Die wiederum gefolgt von der notorisch barfüßigen Sandie Shaw („Puppet On A String“). Jürgen machte Stielaugen, erspähte das dürre Gestänge namens Noel Redding mit dem unglaublichen Mob auf dem Kopf, es gab ihn also wirklich in diesem Umfeld, der guckte zurück, grinste und stellte die erwartete Standard-Frage: „Wo gibt’s Captagon?“ Captagon war ziemlich genau die einzige Droge, die man da unten in den verschiedenen Abteilungen der Frankfurter Vorhölle damals kannte. Eine Aufputschpille, die es dem hart arbeitenden Musiker unter anderem erlaubte, zu saufen wie ein Pferd – ohne umzufallen. In gut sortierten Apotheken gab’s rezeptfreie Alternativen wie AN 1 oder Reactivan, und in den deutschen Clubs wurden die Musiker vom Personal damit versorgt. „Klar besorg’ ich dir was …“
Auf der Bühne spielte sich jetzt etwas ab, das mindestens genauso putschte wie eine Familien-Vorratspackung Captagon: Mitch Mitchell packte einen Schlagzeug-Stimmschlüssel aus, fummelte ein bisschen am Gerät des Trommlers der Schrottband, Hendrix drehte einfach eine Rechtshändergitarre um, griff von oben. Unglaublich. Spielte, splatterte, swrrbllte Töne-Hack, Sphärensirren, Botschaften aus Welten, zu denen bislang noch nicht mal jemand eine Expedition auszuschicken sich angeschickt hatte. Master Volume ganz nach rechts und dann Feedback gemacht, bis die Härchen im Innenohr zur Betriebsversammlung riefen. Die ad hoc auf der Bühne zusammengekommene Band – mit zwei Dave-Dee-Leuten plus Sandie Shaw – groovte sich ein. Das gibt’s doch nicht, dachte sich Jürgen, rieb sich die Augen. Aber sie waren wirklich da. Chuck Berry-Songs droschen sie runter, die Rock’n’Roll-Essenz. „Sweet Little Sixteen“. Mitch Mitchell, der Wahnsinnige hinter den Trommeln, trommelte Wahnsinniges auf denselben. Da wurden Ignoranten wachgeküsst, neue Getränke bestellt und Fragen gestellt: Hendrix? Warum hab’ ich den bis jetzt nicht gekannt? Was diese dürren verhärmten Typen da für ein fettes orgiastisches Zeug spielten! Wie sie die Urknälle der 50er und frühen 60er Jahre für einen Moment übertönten mit ihrem vordergründig archaischen und doch so kontrollierten Lärmen. Der da oben befriedigte keine Erwartungshaltungen, nee. Was der spielte, das konnte auch überhaupt niemand erwartet haben, das hatte ja noch keiner vorgemacht. Jürgen sucht nach Vergleichen, merkte aber sofort, dass es aussichtslos war. Das war kein Eric Clapton, kein Steve Marriott, kein Jeff Beck. Das war eigentlich kein Gitarrist. Überhaupt. Der war nicht an seinen Verstärker angeschlossen, sondern an eine andere, unsichtbare Energiequelle. Jürgen ließ sich treiben und erkannte mit einer Mischung aus erhebendem Glücksgefühl und bangem Rumpeln im Gedärm: Der kann mit dir machen, was er will. Der nimmt dich und zieht dich hoch. In eine elliptische Umlaufbahn, von der aus man wiederum bei jeder Umkreisung einmal in die Frankfurter Clubs hineinschauen konnte. Vielleicht auch auf den Mond, wahrscheinlich war Hendrix schon lange dort gelandet, während die NASA-Astronauten sich noch zwei Jahre nicht trauen sollten. Und das alles auf der Basis eines standardmäßig endlosen, in alle Richtungen auslappenden Bluesschemas. Das hier war eine endlose Jam Session. Aber auch wenn die Jimi Hendrix Experience in „Normalbesetzung“ spielte, war das nicht die Art Rock’n’Roll, die Jürgen und seine Kumpels verstanden und eigenhändig bislang hergestellt hatten.
Noel kam von der Bühne, hatte sich ein Mädchen geangelt, war aufgedreht und sexuell enthusiasmiert. „Have you got a car? I wanna go home with her …“ Of course. Natürlich hatte Jürgen ein Auto für den Bassisten der Jimi Hendrix Experience, er hätte aber natürlich auch einfach eines für seinen alten Kumpel Noel Redding gehabt. Sie fuhren nach Offenbach, Noel versorgte sein Mädchen mit einer Erinnerung, und als schon das Grauen des Morgens heraufdämmerte, stiegen sie wieder in Frankfurt aus. Noel mit dem planetengroßen Afromopp auf dem Kopf, in diesen schreiend bunten Klamotten. Lord Kitcheners Valet. Carnaby Street, eine Paradeuniform des Nonkonformismus an einem ziemlich wackligen, wandelnden Kleiderständer. Ein Geisterfahrer im Strom der Menschen, die gerade notdürftig brisk-frisch ihren grauen Hesselbach-Arbeitsplätzen entgegenmuffelten. Geisterfahrer Redding setzte ein Zeichen: Er machte die Hose auf und
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