Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
es damit zurechtkam. Die ersten Jobs mit Click-Track wurden gebucht. Das hieß für den Trommler, auf ein einfaches, nerviges Metronom im Kopfhörer zu spielen. Ähnlich wie Gehen auf dem Schwebebalken, ohne Netz und unter Zeitdruck. Und besonders anstrengend bei den standardisierten Disco- oder Pop-Produktionen. Da galt als Dienstvorschrift Euro Beat, zwischen 114 und 116 Beats pro Minute, das war plötzlich ein ungeschriebenes Gesetz, frei nach dem leuchtenden Vorbild von „Daddy Cool“ (oder war es „Ma Baker“?), und ist heute noch an allen Produktionen dieser Ära mit der Stoppuhr nachprüfbar. Bloß nicht von der Linie abweichen.
Four on the Floor.
Keine künstlerischen Finessen, Gelände neben dem Schwebebalken ist vermint. Jürgen stieß es immer dann besonders sauer auf, wenn Fred Schreier – auch bei Produktionen, mit denen er nichts zu tun hatte – seinen sächsischen Kopf zur Tür der Schlagzeugkabine hereinsteckte und aus seinem sächsischen Mund die wohlgewählten Worte vernehmbar wurden: „Nu, wenn du mich frochss, do gehean
Foa onße Floa
hin“. Der fachmännische Rat halt, den Jürgen exakt jetzt so bitter nötig brauchte.
„Ey, hast du für mich Zeit?“ Der Fragesteller war Peter Hauke, und für ihn wollte Jürgen eigentlich keine Zeit haben. Der Ärger der Marz und Eperjessy-Produktion nagte noch an ihm. In Dieter Dierks winzigem Studio in Stommeln hatten sie unter Peter Haukes Regie angefangen, diese Platte aufzunehmen. In familiärer Atmosphäre, neben dem Aquarium sitzend die von Mutter Dierks belegten Käsebrötchen mümmelnd. Hauke hatte das Idyll zerstört, indem er Jürgen aus der Produktion gekippt hatte. „Irgendwann zeig’ ich’s dem noch mal“, hatte der sich damals geschworen. Und nun? Nun spielte er also im Handumdrehen für Peter Haukes bunten Strauß vielfältigster Produktionen. Hauke hatte einen ganz speziellen persönlichen Schmäh, einerseits war er ein Verhandlungsgenie und zog somit immer wieder Vorschüsse für Produktionen an Land. Er hatte das Studio, bezahlte die Musiker und bekam seinen Anteil als Produzent. Andererseits erblickten nicht alle diese Produkte das Licht der Welt, viele tauchten eher in Grabbelkisten als in Hitparaden auf. Oder erinnert sich noch jemand an die famosen Nummer-Eins-Hits von „Thanx“, „Bamboo“ oder „Glenn“?
Aber der Produzent Hauke hatte genug Geld in der Hand, um auf der sicheren Seite zu sein. Er motivierte Musiker, indem er ihnen weitgehend Freiraum ließ. Eine eigene Idee hörte Jürgen von ihm in der ganzen Zeit ihrer Zusammenarbeit selten. Hauke war widersprüchlich. Wenn er mal wieder in Amerika gewesen war, hielt er lehrreiche Kurzreferate, die auch schon mal länger sein konnten, über von dort mitgebrachte Erfolgsproduktionen, die er ohne weitere Begründung zum Maßstab aller Dinge machte. 1977 war es eben „Rumours“ von Fleetwood Mac. Die Jungs in seinem Studio konnten spielen, was sie wollten, immer bekamen sie zu hören: „Das ist Scheiße, das muss klingen wie. Rumours“ Party machen war bei seinen Produktionen oft das ungeschriebene Gesetz, wenn die Musiker aber berauscht durch die Aufnahmeräume stolperten, sich in Bändern verhedderten und ihre Instrumente am Ende gar nicht mehr mit ihnen sprechen wollten, warf er ihnen unprofessionelle Einstellung vor.
Ob für Hauke oder für andere Produzenten: Jürgen war immer im Studio, lebte im Studio und bediente wieder mal die ganze Bandbreite. Er trommelte für einen Tiger B. Smith, machte Percussion für „Boney M.“ und „Eruption“. Er verpasste Costa Cordalis den Standardbeat, er schlug die Trommel für Weisheiten der Werbung. „Wenn’s um Geld geht, Sparkasse“ oder Coca Cola. Egal, nächster Kunde. Bis tief in die Nacht, und um zehn Uhr morgens konnte schon wieder ein Anruf kommen, der verlangte, der evangelischen Kirche und ihrem zeitgemäßen und doch anspruchsvollen Liedgut für jüngere Menschen den notwendigen Nachdruck zu verleihen. „Danke, für diesen neuen Morgen! Danke für jeden neuen Tag …“ Genau, das brauchte er jetzt. Die verkaterte Birne wehrte sich, allein das zittrige Fleisch untermalte die säuselnden Gospels alsbald widerstrebend mit einem zackigen Beat. Zur Abwechslung und als Kontrastprogramm durfte man dann einen bemerkenswerten österreichischen Film mit dem Titel „Sei zärtlich, Pinguin“ begleiten. Oder in zwei Tagen sechsunddreißig Titel zu einem Metronom und einem hölzern rumpelnden Bigband-Orchester
Weitere Kostenlose Bücher