Jürgen Zöller Selbst - Aus dem Leben des BAP-Trommlers
Midtempogrooves, Doobie Brothers, alles das konnte er gut. Und hätte am liebsten auch nur solche Sachen gespielt. Aber die Siebziger Jahre hatten zwei Seiten, und abzuliefern war eben auch unsäglicher Mist wie Terry Jacks „Seasons in the Sun“, das man pflichtschuldig Horden komatös betrunkener Skifahrer entgegenblöken durfte.
We had joy, we had fun, we had seasons in the sun.
Ein Prosit. Ganz tragisch fühlte sich der monatsengagierte Unterhaltungsmusikant, wenn Dr. Hooks „Silvias Mother“ gegeben werden musste. Diese vorgebliche Ultraschnulze, die ultimative und eigentlich für jeden erkennbar maßlos überzogene Parodie auf einen Love Song, wurde vom Publikum für bare Münze und Ausdruck unglücklich verzweifelten Zeugungsdrangs genommen. Menschen, die vor emotionalen Abgründen unterschiedlicher Dimension standen, mussten halt mit der ganzen Palette vom „Schneewalzer“ bis „Smoke on the water“ bedient werden. Um nur zwei herausragende Werken der Populärmusik zu nennen, die mit dem Buchstaben „S“ beginnen. Das alles war Jürgen klar gewesen, als er das Schlagzeug ins Auto gepackt hatte. Er hatte sich vorgenommen, die harte, aber von vornherein geplante und auf etwa zwei Jahre angelegte Schule des Learning by Doing durchzustehen. In Frankfurt hielt ihn nichts mehr, die Ehe war am Ende, ein fester Job weder in Sicht noch angestrebt, und einer Band, die gerade als das nächste große Ding gehandelt wurde, gehörte er auch nicht an. Deshalb war er bei Gerry Edmond richtig. Der jedenfalls machte den Job mehr oder weniger mit der Faust in der Tasche, sie flogen auch mal aus einem Laden raus, weil sie nicht „kommerziell“ genug waren. Am besten waren sie dann, wenn sie mal ausnahmsweise nicht vor besoffenen Skifahrern spielen mussten.
Mit neuen Leuten in der Band lief es besser: Jetzt gab es mit Sergio Rinaldis einen Keyboarder, der keine Zusatzangebote machen musste, um mitspielen zu dürfen. Später wurde er ausgetauscht gegen einen weiteren Italiener, Domenico Russo, genannt Mimo. Ein inbrünstiger Sänger, der mit Händen und Ellenbogen auf der Orgel rum tanzte und sich in Italo-Edelschnulzen wie „Piccolo e fragile“ und „Tornero“ hineinwarf, als gelte es, damit Haare zu gelen. Jeder spielte seine Rolle: Am Bass war der schlechtangezogenste Mann – mindestens des Balkans: Milan Vascanin, ein Jugoslawe, den sie Micki nannten. Er trug zudem diesen schrecklichen Bart mit glatt ausrasiertem Kinn. Wenn er sich eine Peter Stuyvesant ansteckte, leckte er sie vorher ab. Nachdem er sie aus einem verarmten braunen Täschchen herausgezogen hatte, das an einem mickrigen Schläufchen baumelnd überall dorthin ging, wo auch er hinging, und neben Zigaretten einen Kugelschreiber und Kondome enthielt. Kurz gesagt: all das rundete sich vortrefflich mit seinem Gesang zu einem stimmigen Gesamtbild. Denn Micki war es, der knödeln durfte „… and all the stars that we could reach, were just starfish on the beach …“
Seasons in the Sun,
schlimmer als das Original und alle anderen schlimmen Schnulzen. Aber bitteschön, mit d e m Bart. Wer sonst hätte das denn singen sollen? Nach den ersten Jobs beschlossen die Musiker, damit es noch dramatischer wurde musste ein Saxophonist her. Für Jürgen kam nur einer in Frage, der verrückt genug war, einzusteigen. Beim ersten Job in Deutschland – in Tuttlingen – war Christian Felke dabei.
Es machte mehr oder weniger Spaß, je nach Auftrittsort und Bedingungen. In der Schweiz, das fiel Jürgen auf, wurde man als Musiker behandelt wie ein Mensch. In Deutschland eher selten. Gab es dort Hotelzimmer, bevorzugten hiesige Veranstalter eher Käfighaltung. Das
Sarazena
in Pontresina war ein angenehmer Laden, in dem die Band ihre rockigen Sachen spielen konnte, vor allem nach der Saison. Ab neun Uhr abends bis mindestens zwei Uhr nachts arbeitete man. Nach Dienstschluss führt Jürgen gelegentlich eingehende Gespräche mit kurzfristig akquirierten Damen, meistens aber hielt er sich auf seinem Zimmer bei Laune mit der Musik, die wirklich zählte: Steely Dan oder Santana. und Konsorten. Die ganz harte Schule war Grafenwöhr: Vorsicht, militärisches Sperrgebiet. Schusswaffengebrauch. Der größte Truppenübungsplatz in Deutschland hatte direkt neben dem Eingang einen Club, den die kämpfende Truppe zum Bierkampf nutzte. In dieses, von einem Berufseuphemisten
Metropol
getaufte Etablissement begaben sich regelmäßig größere Mengen amerikanischer GIs. Es war die
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