Julia Ärzte zum Verlieben Band 54
landeten auf dem zerkratzten Tisch. Ihr Arm schmerzte höllisch, und am liebsten hätte sie sich in einem der kleinen Nebenräume auf ein Sofa fallen lassen.
Sie war müde, hundemüde.
Und im Schlaf wäre sie auch sicher vor den Erinnerungen, die Stans Vorwürfe geweckt hatten …
Mühsam fummelte sie an den kleinen Knöpfen ihrer Bluse. Die Ärmel endeten in einer Manschette, die ihren Oberarm fest umschloss. Sie konnte sie nicht hochrollen, um den Schaden zu begutachten. Mia zuckte zusammen, als sie endlich die Bluse abstreifte. Jede Bewegung war wie ein Stich.
Achtlos warf Mia das blutgetränkte, zerfetzte Kleidungsstück auf den Boden. Das kam nachher direkt in den Müll.
Sie inspizierte das Top mit den Spaghettiträgern, das sie über dem BH trug, und entdeckte zu ihrer Erleichterung keine Blutspuren. Weil die Klimaanlage gegen vier Uhr morgens eine empfindliche Kälte durch die Räume pustete, hatte sie während der Nachtschichten immer ein Hemdchen drunter.
Jetzt war sie besonders froh darüber.
Mia begutachtete die Wunde. Das Blut war geronnen und verkrustet, sodass das Ausmaß auf den ersten Blick nicht zu erkennen war. Aber es sah ziemlich übel aus. Vorsichtig betastete sie die Stelle mit dem Zeigefinger. Es war ein langer Schnitt, und flüchtig schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, was wohl passiert wäre, hätte Luca sie nicht geistesgegenwärtig aus der Gefahrenzone gezogen.
Ihre Hand bebte. Mia ließ sie sinken und verdrängte die Erinnerung an den furchtbaren Moment. Du bist nicht in die Brust getroffen worden, sagte sie sich bestimmt. Du bist nicht gestorben.
Luca hatte sie davor bewahrt.
Doch das Zittern wollte nicht aufhören, erfasste auch die anderen Glieder und breitete sich überall aus. Sie holte ein paar Mal tief Luft.
Eine normale Reaktion des Körpers, sagte sie sich. Das geht vorbei.
Doch je länger sie dasaß und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen, umso mehr war sie schutzlos ihren Gedanken und Gefühlen ausgesetzt. Sie hasste diesen Zustand, hatte sie doch vor langer Zeit gelernt, dass Verletzlichkeit sie nicht weiterbrachte.
Heute Abend allerdings schien sie ihrer nicht Herr werden zu können. War ihr Vater so verzweifelt und wütend gewesen wie Stan? Damals, als er herausfand, dass Mias totgeborene Schwester nicht von ihm war? Hätte er ein Messer oder ein Gewehr zur Hand gehabt, hätte er es gegen ihre Mutter gerichtet?
Am selben Tag noch hatte er die Familie auf Nimmerwiedersehen verlassen. Warum, das sollte Mia erst Jahre später erfahren. Jahre, in denen sie ihn gehasst, in denen sie ihm stumm bittere Vorwürfe gemacht hatte. Zu Unrecht. Ihre Mutter war ihm immer wieder untreu geworden, und das hatte er nicht länger ertragen.
Mia schüttelte den Kopf. Hör auf! Hör auf!
Okay, der Zwischenfall im Schockraum hatte sie aufgewühlt, weil er persönliche Erinnerungen hervorholte, an die sie nicht gern rührte. Aber das war kein Grund, die Nerven zu verlieren. Du bist keine zehn mehr, ermahnte sie sich, du bist erwachsen.
Also, versorg die verdammte Wunde und dann raus, wieder an die Arbeit.
Sie zwang sich, das Verbandspäckchen aufzureißen, träufelte Antiseptikum auf die Gaze und machte sich daran, das getrocknete Blut abzuwischen. Es war nicht einfach und brannte scheußlich, aber der Schmerz lenkte sie ab, und ihre Hand wurde ruhiger.
Zwei Minuten später kam Luca herein. Mia sah auf und fühlte sich plötzlich seltsam nackt ohne ihre Bluse. Was natürlich albern war, schließlich saß sie nicht im BH da. Sie beachtete ihn nicht weiter und fuhr mit ihrer Arbeit fort.
Luca unterdrückte ein Lächeln, während er sich gegen den Tisch lehnte. „Sie machen es nur noch schlimmer“, meinte er.
Sie warf ihm einen abweisenden Blick zu. „Es ist nicht so einfach.“
„Ich glaube, ich hatte gesagt, dass ich Sie verarzten werde.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber Sie bitten nicht gern um Hilfe, nicht wahr, kleine Mia?“
Der leichte Akzent verlieh seiner tiefen Stimme einen samtigen, sexy Klang.
„Entweder Mia oder Dr. McKenzie“, entgegnete sie kühl. „Alles andere können Sie sich sparen.“
Er lachte leise vor sich hin und richtete sich auf. „Okay, Mia.“ Luca setzte sich auf den Stuhl neben ihr. „Darf ich?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, griff er nach einem Stück Gaze und begann, die Wunde abzutupfen.
Mia ließ es geschehen. Er hatte sanfte Hände, sonnengebräunte Finger, die sich dunkel von ihrer blassen Haut
Weitere Kostenlose Bücher