Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
erzählte Edward, und aus jedem seiner Worte sprach die große Liebe, die die Familie Goldmark zusammenhielt. „Benedict war der Letzte, der seinen Geburtstagstrip noch gemacht hat. Im nächsten Winter gab es den Lawinenunfall, und meine Eltern sind umgekommen. Danach hat sich alles verändert.“
Edward sprach leise, um sie herum war es bis auf das Knarren des Sesselliftes ganz still. Wie sehr wünschte Honey sich, ihn zu berühren, ihn zu trösten und seinen Schmerz zu lindern.
„Sie machten gerade Hausbesuche“, fuhr er fort. „Es gab keine Lawinenwarnung. An dem Tag sind in Charlotte’s Pass über vierzig Menschen umgekommen. BJ, Lorelais Vater, hat das Rettungsteam geleitet. Peter war auch dabei, es war sein erster Einsatz.“
Honey griff nach seiner Hand und drückte sie stumm. Sie wollte ihn nicht unterbrechen, denn sie war sicher, dass er nicht oft über diese Nacht sprach.
Edward drehte sich zu ihr. Der Kummer in seinen Augen brach ihr fast das Herz. „Der arme Pete, er war damals noch so jung.“
Honey nickte nur, sie hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. „Peter hat mir einmal davon erzählt. Er sagte, er sei an diesem Tag erwachsen geworden. So schlimm es war, es hat ihm auch geholfen, seinen Weg zu finden. Auch deswegen ist er schließlich Park Ranger geworden.“
Edward atmete tief ein und aus. Er konnte selbst nicht glauben, dass er dieses Gespräch mit Honey führte. Als seine Eltern starben, war er mit Amelia zusammen gewesen. Sie hatte ihn bemitleidet und bei der Beerdigung neben ihm gestanden. Dann jedoch hatte sie erwartet, dass alles so weitergehen würde wie vorher. Dass der Tod seiner Eltern Edwards ganzes Leben verändern würde, hatte sie nicht akzeptieren können.
Honey hingegen war offensichtlich von seiner Geschichte tief berührt, er hatte die Tränen in ihren Augen glitzern sehen. Aber sie versuchte, ihn zu unterstützen, und tatsächlich bot ihm ihre Nähe einen Trost, den er lange vermisst hatte.
„Ja, das ist typisch Peter. Er hat es immer geschafft, die positiven Seiten zu sehen. Genau wie du.“ Er lächelte etwas schief. „Ich dagegen bin ein alter Pessimist und werde mich nicht mehr ändern.“
„Du bist zweiunddreißig, das ist ja wohl kaum alt.“ Honey schüttelte grinsend den Kopf. „Und immerhin bist du ja bereit, dich mit mir auf eine Bergwanderung einzulassen, ohne vorher überhaupt zu wissen, wohin es geht.“
„Als hätte ich eine Wahl gehabt“, entgegnete Edward amüsiert.
„Natürlich hattest du die.“ Sie wurde wieder ernst. „Genau wie damals. Du hättest die Rolle als Familienoberhaupt nicht auf dich nehmen müssen. Aber du hast dich in dieser schweren Zeit um deine Brüder gekümmert. Das hätte nicht jeder getan, Edward. Deine Eltern wären sehr stolz auf dich.“ Wieder drückte sie seine Hand. „Und ich wette, als Hamilton zwölf geworden ist, bist du mit ihm hierhergekommen, um zu zelten, richtig?“
„Das hat Peter dir erzählt, oder?“
Stumm schüttelte Honey den Kopf. Nach einem kurzen Schweigen sagte sie: „Du tust so viel für andere, dass dir gar keine Zeit bleibt, mal zu überlegen, was du selbst eigentlich willst, oder? Man kann die eigenen Wünsche und Träume zwar eine Weile verdrängen, aber irgendwann wirst du dich damit beschäftigen müssen.“
„Das klingt, als würdest du aus eigener Erfahrung sprechen.“ Edward war erschüttert, wie genau sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
„Ja, das stimmt. Ich habe mich mit meinen Eltern und ihrer Sicht auf die Welt auseinandersetzen müssen, und das war sehr schmerzhaft. Als meine Mutter Mitte vierzig war, wurde sie schwanger. Schon die Schwangerschaften mit Woody und mir waren schwierig gewesen, aber sie hat sich geweigert, zum Arzt zu gehen oder auch nur einen Ultraschall machen zu lassen. Sie wollte das Kind unbedingt ganz natürlich austragen und war sich sicher, dass alles in Ordnung wäre.“ Honey hielt kurz inne und zupfte am Ärmel ihres Wollpullovers. „Aber das war es nicht. Hätte sie eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen, hätte man entdeckt, dass das Baby einen angeborenen Herzfehler hatte. Man hätte einen Kaiserschnitt durchführen und das Baby mit einer OP retten können. Aber meine Mutter wollte ja alles natürlich machen. Und so hat meine kleine Schwester nach der Geburt nur eine Stunde lang gelebt.“
„Wie alt warst du damals?“
„Beinahe achtzehn. Ich konnte nicht fassen, wie engstirnig meine Eltern waren. Die Welt ist nicht
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