Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
schwarz oder weiß, gut oder böse. Man muss ein Gleichgewicht finden. Ich wusste, wenn ich bei ihnen geblieben wäre, hätte meine Wut uns alle zerstört. Also bin ich ausgezogen. Ich habe gelernt, mich auf die kleinen Dinge zu konzentrieren und mich daran zu freuen: mit Hubert am Auto herumbasteln, mit Jessica einkaufen gehen, mit meinem Bruder ins Kino. Oder einfach einen Sonnenuntergang am Strand bewundern.“
„Und sich vor Glück im Kreis drehen?“ Edward musste lächeln, als er daran dachte, wie er Honey zum ersten Mal gesehen hatte.
„Genau. All die Momente, die das Leben lebenswert machen. Darauf kommt es an, und ich wette, du hast mit deinen Brüdern jede Menge davon gehabt.“
Oh ja. Selbst nach dem Tod ihrer Eltern hatte es diese Momente gegeben. Wenn sie alle zu Hause waren und um den Küchentisch zusammensaßen. Oder wenn Hamilton ihm nach abendlichen Hausbesuchen stolz ein Abendessen mit Bohnen auf Toast servierte. Er nickte. „Ja, das stimmt.“
Ihre Fahrt war zu Ende. Sie klappten den Bügel hoch und sprangen aus dem Sessellift. Honey schulterte ihren Rucksack, und sie gingen an dem Ausflugslokal vorbei auf ein großes Schild zu, das die verschiedenen Wanderrouten zum Gipfel zeigte.
„Es ist kühl hier oben.“ Honey wühlte im Rucksack und förderte zwei Paar Handschuhe und zwei Mützen zutage. „Hier bitte. Die habe ich zu Hause im Schrank gefunden. Sie gehören sowieso euch, nehme ich an.“
„Danke.“ Edward setzte die Mütze auf und steckte die Handschuhe in seine Jackentasche. Dann blickte er zu den Wolken am Himmel. „Eigentlich ist der März die perfekte Zeit für eine Wanderung hier, aber man kann nie wissen. Das Wetter ist unberechenbar. Hoffen wir mal, dass es hält.“
„Also los, ich bin schon sehr gespannt, wie es auf dem Dach Australiens aussieht.“
Sie folgten einem gepflasterten Weg und überquerten einen kleinen Fluss. An manchen Stellen waren Wildblumen zu sehen, an anderen, wo die Sonne nicht schien, lagen noch Schneeflecken.
Honey nahm die Umgebung aufmerksam und voller Begeisterung in sich auf. Immer wieder blieb sie kurz stehen, um Fotos zu machen. „Es ist wunderschön“, verkündete sie, als sie einen Aussichtspunkt erreichten. Unterwegs waren ihnen einige andere Wanderer begegnet, ein älteres Paar und Familien mit Kindern.
„Ich mache ein Foto von dir“, bot Edward an. Honey lächelte, stellte sich in Positur und wies mit übertriebener Geste auf die Bergkulisse, während er fotografierte.
„Und jetzt eins von uns beiden“. Sie trat zu ihm und schlang einen Arm um seine Hüfte. Edward war so überrumpelt, dass er beinahe die Kamera fallen ließ. „Na komm, du musst einfach den Arm ausstrecken und auf den Knopf drücken.“
Edward blieb nichts anderes übrig: Er machte ein Foto von ihnen beiden und hoffte, dass er darauf nicht zu verkrampft schaute. „Na bitte, das war doch nicht so schlimm“, sagte Honey schließlich.
Sie setzten ihren Weg fort, und unwillkürlich rief Edward sich seinen Ausflug mit Hamilton ins Gedächtnis. Für ihn selbst war es schwierig gewesen, da ihn die Erinnerungen an den Campingtrip mit seinem Dad überwältigt hatten. Hamilton jedoch hatte ihre gemeinsame Zeit in vollen Zügen genossen, und das war es, was zählte.
Als sie schließlich den Gipfel erreichten, standen beide einen Moment da, atmeten die frische Luft ein und genossen die Aussicht über die Berglandschaft.
„Wir haben’s geschafft!“ Honey riss die Arme zu einer Jubelgeste hoch, und Edward hob schnell die Kamera, um ein weiteres Bild von ihr zu machen. Sie trug Jeans und ihren dicken Wollpulli, aber mit ihrer roten Mütze und dem gelben Schal leuchtete sie vor dem Hintergrund des blauen Himmels und der grün und grau gesprenkelten Felsen.
Sie waren ganz allein auf dem höchsten Punkt des Landes. Edward konnte den Blick nicht von Honey abwenden. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen funkelten, und sie lächelte ihn an. Hatte er jemals eine schönere Frau gesehen?
„Und jetzt machen wir unser Picknick.“ Honey zog die Handschuhe aus und öffnete ihren Rucksack. Wenige Minuten später saß Edward auf einer Decke, in der einen Hand einen Becher voll dampfendem Kaffee, in der anderen ein Sandwich.
„Heute Morgen beim Aufwachen hätte ich nicht gedacht, dass ich zum Mittagessen auf dem höchsten Punkt Australiens sein würde.“ Er biss in sein Sandwich.
„Das ist das Gute an Überraschungen.“ Erfreut stellte Honey fest, dass Edward völlig
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