Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
stattdessen ein Taschentuch.
„Ich weiß nicht, was mit ihm los ist“, schluchzte Lorelai. „Er ist so unfreundlich zu mir. Er sagt, ich wäre fett.“
„Was für ein Unsinn. Du bist schwanger.“ Honey stand auf und beugte sich über Lorelai, um sie zu umarmen. Innerlich verfluchte sie den Mann ihrer Kollegin. Sie hatte John bisher nur einmal getroffen und war nicht besonders angetan von ihm. Er hatte sie von oben bis unten gemustert und keinen Hehl daraus gemacht, dass er sie für eine verrückte Hippiebraut hielt. Sie fragte sich, was ihre Freundin an ihm fand.
„Er war nicht immer so“, sagte Lorelai, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. „Am Anfang war er sehr lieb und aufmerksam. Er war begeistert von Oodnaminaby, von der Landschaft und den Skipisten. Dann war er immer öfter bei Freunden in Thredbo und hat ihnen auf der Skihütte geholfen, und wenn das Wetter zu schlecht war, ist er auch über Nacht dort geblieben und …“ Sie hielt inne und schien nachzudenken.
„Er hat das Baby nicht gewollt“, flüsterte sie dann. „Ich habe das noch niemandem gesagt, nicht einmal meinem Dad oder Edward.“ Ihre Unterlippe zitterte, und sie wischte sich über die Augen. „Als ich ihm sagte, dass ich schwanger bin, hat er verlangt, dass ich eine Abtreibung mache, und dann ist er mit seinen Freunden trinken gegangen.“
„Oh, Schätzchen.“ Liebend gern hätte Honey dem Mann auf der Stelle den Hals umgedreht. „Ich hatte ja keine Ahnung …“
„Nein, das hat niemand. Ich habe ja selbst versucht, nicht daran zu denken, aber jetzt habe ich so viel Zeit. Ich grüble über alles nach, immer wieder und …“ Lorelai brach wieder in Tränen aus. „Und dann kann ich nicht mehr aufhören zu weinen.“
Honey umarmte sie fest. Sie reichte ihr Taschentücher und wartete ab, bis sich Lorelai all den Kummer und die Sorge, die sie so lange verdrängt hatte, von der Seele geweint hatte.
„Danke.“ Schließlich putzte Lorelai sich die Nase und lächelte etwas schief. „Das musste ich wohl mal loswerden.“
„Soll ich noch einen Tee kochen?“, fragte Honey.
„Nein danke“. Lorelai gähnte. „Ich glaube, ich lege mich ein bisschen hin.“
„Na klar. Hier, mach’s dir gemütlich.“ Honey legte Kissen auf das Sofa und holte eine Decke.
„Danke fürs Zuhören“, sagte Lorelai.
„Dafür sind Freundinnen schließlich da.“
Unwillkürlich wanderten Honeys Gedanken zu Edward. Jeden Morgen, wenn sie ihn sah, schlug ihr Herz schneller. Nur zu genau konnte sie sich noch in Erinnerung rufen, wie es sich angefühlt hatte, als er seine Arme um ihren Körper geschlungen und sie an sich gezogen hatte … Als er zärtliche Küsse auf ihren Hals gehaucht hatte, bis sie meinte, von Kopf bis Fuß in Flammen zu stehen.
Sie dachte daran, wie er sie festgehalten hatte, als sie die kleine Kapelle in Charlotte’s Pass besucht hatten, daran, wie er sie geküsst und sich bei ihr für die Unterstützung bedankt hatte. Sein Schmerz berührte sie zutiefst, sie konnte nur ahnen, welche Überwindung es ihn gekostet hatte, diesen Schritt zu tun.
Nachdem sie die Kapelle verlassen hatten, war es Honey gewesen, die den Wagen zurückgefahren hatte. Edward war zu aufgewühlt gewesen, aber sie hatte ihm während der Fahrt noch einmal gesagt, wie sehr sie ihn für seinen Mut bewunderte.
Honey schaute zu ihrer Freundin, die inzwischen auf dem Sofa eingenickt war. Mit einem leisen Seufzer gestand sie sich die Wahrheit ein: Ihre Gefühle für Edward wurden mit jedem Tag stärker.
Am Sonntagabend wollte Honey früh zu Bett gehen. Sie trug bereits ihren Lieblingspyjama mit dem bunten Batikmuster. Sie hatte die dünne Hose und das Trägertop selbst vor ein paar Jahren während eines besonders heißen Sommers in Queensland eingefärbt.
Als das Telefon klingelte, nahm sie eilig ab. Vielleicht war es Edward. Vielleicht würde er sagen: „Ich habe so viel gekocht, warum kommst du nicht rüber und isst mit uns?“ So zumindest stellte sie es sich vor.
„Hallo, hier ist Honey“, sagte sie.
„Hi, Sis.“ Am anderen Ende ertönte die tiefe Stimme von Woody.
„Hi, Bro“, erwiderte sie seine Begrüßung. Das gehörte zu ihrem Geschwisterritual, aber heute verspürte Honey eine leichte Enttäuschung. Sie ging zum Küchenfenster und schaute in den Hinterhof, um vielleicht einen Blick auf Edward zu erhaschen.
„Hast du jemand anderen erwartet?“ Woody kannte sie einfach zu gut.
„Nein.“ Honey wandte ihrem Bruder ihre
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