Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
Bruder und als Vaterersatz. Du hast es ja selbst miterlebt, wie Hamilton und ich uns gegenseitig an die Kehle gesprungen sind. Aber ich würde alles für ihn tun. Er ist mein kleiner Bruder. Ich bereue nicht, dass ich für ihn und die anderen so viel aufgegeben habe. Aber es ist nicht leicht. Manchmal frage ich mich, wie meine Eltern das hinbekommen haben. Fünf Jungs! Ich weiß noch genau, dass die Zwillinge und ich ständig Ärger gemacht haben.“
„Aber du bewunderst deine Eltern für das, was sie getan haben. Dass sie euch die richtigen Werte vermittelt und die Praxis aufgebaut haben, damit ihr etwas habt, was ihr selbst der nächsten Generation weitervererben könnt. Willst du das nicht auch tun?“
„Nein, eigentlich nicht.“
Edwards Worte machten sie für einen Moment sprachlos. „Wirklich? Du möchtest keine eigenen Kinder?“
Er schüttelte den Kopf und sah sie an. „Nicht unbedingt. Ich habe das schon hinter mir. Ich bin mir nicht sicher, was ich tun möchte, wenn Hamilton auszieht, aber sicher werde ich nicht gleich eine Familie gründen wollen.“
Langsam versuchte Honey, diese Nachricht zu verarbeiten. Seine Worte hatten sie tief getroffen, ohne dass sie genau wusste, warum. War das der Grund, warum er versucht hatte, sie auf Abstand zu halten?
„Aber du wärst ein toller Vater“, platzte sie heraus. „Wie kannst du …?“ Honey unterbrach sich selbst. „Entschuldige, das sollte ich nicht sagen. Das ist deine Entscheidung. Ich weiß, dass es schwierig gewesen sein muss, deine eigenen Träume zu begraben und die ganze Verantwortung auf dich zu nehmen.“
„Deine Kindheit war auch nicht einfach“, sagte Edward. „Du hast deinen Bruder auch mit großgezogen.“
„Ja, aber meine Eltern waren da.“
„Das wünsche ich mir am allermeisten. Noch einen Tag mit ihnen zu verbringen, sie die Dinge fragen zu können, die ich sie nie gefragt habe, als sie noch da waren.“ Edward sah in das flackernde Kaminfeuer. „Es ist so schnell gegangen. Sie wurden zu einem Notfall gerufen, und eine Stunde darauf rief Peter an und …“ Seine Stimme stockte. Honey war überwältigt von Mitgefühl. „… und sagte, dass sie beide tot waren. Einfach so.“ Er schloss seine Augen, als könnte er so der Erinnerung an diesen Tag entkommen.
„Siehst du“, sagte er kurz darauf und öffnete die Augen wieder, „genau deshalb verbringe ich nicht so viel Zeit damit, über die Dinge nachzudenken. Ich kann stundenlang über mein Leben grübeln, aber nichts, was ich sage oder tue, kann sie jemals zurückbringen.“ Er räusperte sich. „Du hast deine Eltern noch, Honey. Sie sind nicht vollkommen, das waren meine Eltern auch nicht. Niemand ist das, das weiß ich selbst am besten. Aber sie sind noch am Leben, und das zählt.“
Sie nickte nur und wischte sich über die Augen. „Du hast recht, Edward. Aber ich weiß einfach nicht, was ich ihnen sagen soll. Was soll ich tun? Du meinst, es wäre einfach, zum Telefon zu greifen und anzurufen, aber wie soll es nach dem Hallo weitergehen?“
Er zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht, und ich bin auch nicht der Richtige, um gute Ratschläge zu geben. Ich bin nach dem Unglück nie wieder in Charlotte’s Pass gewesen. Lorelai übernimmt alle Hausbesuche in der Gegend. Meine Brüder sind alle dort gewesen. Es gibt ein Denkmal für die Opfer des Lawinenunglücks, und sie haben so Abschied genommen.“
Honey starrte ihn an. „Aber du nicht?“
„Nein.“
Nachdenklich schaute sie zum Kaminfeuer. Vielleicht war es eine verrückte Idee, aber vielleicht würde es auch helfen. „Wie wäre es, wenn …?“
„Nein.“ Edward unterbrach sie.
„Warte. Wie wäre es, wenn wir heute noch dorthin fahren? Gemeinsam? Ich bin bei dir, ich werde dich unterstützen.“
Wieder wollte Edward ablehnen … Aber etwas hielt ihn davon ab. Vielleicht hatte sie recht, vielleicht war endlich der richtige Zeitpunkt gekommen. Nicht nur für ihn. „Wenn wir heute nach Charlotte’s Pass fahren“, sagte er, „dann könntest du auch deine Eltern anrufen.“
„Aber sie haben gar kein …“
Er ließ sie nicht ausreden. „Irgendwo in der Kommune wird es schon ein Telefon geben. Dein Bruder hat schließlich Kontakt zu ihnen.“ Honey nickte stumm. „Du hilfst mir, und ich helfe dir.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen.
„Abgemacht?“
Etwas überrumpelt ließ Honey sich das Ganze durch den Kopf gehen. Sie würde alles tun, um Edward zu helfen, endlich Frieden zu finden. Es sah
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