JULIA ARZTROMAN Band 26
Dahinter erleuchteten starke Scheinwerfer gespenstisch die Nacht.
„Nur ich.“
Unzählige Hände streckten sich ihr entgegen, halfen, zogen sie durch das Loch, bis sie wieder auf den Füßen stand. Nach der stockfinsteren Mine tat ihr das grelle Licht in den Augen weh, und doch war Adams Gesicht das Erste, was sie sah.
„Gut gemacht.“ Sie las ihm die Worte von den Lippen ab. Hören konnte sie ihn nicht, weil der Generator dröhnte und mehrere Leute gleichzeitig auf sie einredeten.
Maggie richtete sich auf und atmete tief ein. Die klare, kühle Luft schmeckte gewohnt salzig, und dennoch erschien sie ihr unendlich süß.
Plötzlich hielt sie es für ausgeschlossen, dass sie freiwillig in den düsteren Schlund der Erde zurückkehrte …
4. KAPITEL
„Nein!“
Ein schriller Aufschrei zerriss die Nachtluft. Das Stimmengewirr verstummte abrupt, zu hören war nur noch das Brummen des Generators.
„Wo ist mein Sohn? Was ist passiert?“
„Kate …“, sagte jemand, und Maggie traute ihren Augen nicht. Die Frau war völlig aufgelöst. Auf ihren Wangen glitzerten Tränenspuren, und die Haare hingen ihr in das bleiche Gesicht. War das wirklich Kate Althorp?
Jahrelang hatte Mrs. Althorp in der Gemeinschaftspraxis die Fäden in der Hand gehalten und dafür gesorgt, dass Patienten, Ärzte und Mitarbeiter gleichermaßen zu ihrem Recht kamen. Freundlich und zuvorkommend, stets gepflegt und außerordentlich tüchtig war die Praxismanagerin der ruhende Pol im alltäglichen Chaos gewesen.
Jetzt war sie kaum wiederzuerkennen. Unwirsch schob sie Nick, der sie zurückhalten wollte, beiseite und bahnte sich ihren Weg zwischen den Feuerwehrmännern hindurch zum Mineneingang, wo Maggie stand.
„Was hast du mit meinem Sohn gemacht?“, fauchte sie. „Du hast gesagt, es wären nur zwei verletzt, und …“
„Kate.“ Nick war ihr gefolgt und legte ihr den Arm um die Schultern. „Beruhige dich. Lass das Mädchen erst mal Luft holen.“
„Was soll das heißen, lass sie erst mal Luft holen?“ Sie wirbelte herum und starrte ihn wütend an. „Ich will wissen, warum sie meinen Sohn nicht mitgebracht hat. Ist er gestürzt? Ist er bewusstlos? Nick, du weißt, wie es war, als ich James verloren habe. Du warst dabei. Ich darf Jem nicht auch noch verlieren. Ich würde es nicht ertragen …“
„Kate!“ Maggie musste laut werden, um den hysterischen Wortschwall zu unterbrechen. „Jem ist nicht verletzt.“
„Ist er nicht …?“ Zuerst wirkte sie erleichtert, dann verständnislos, und schließlich gewann der Ärger wieder die Oberhand. „Warum hast du ihn dann nicht rausgeholt?“ Kate machte einen Schritt auf Maggie zu, als wolle sie sie packen und kräftig schütteln. „Warum hast du meinen Sohn dort unten gelassen?“
„Weil er nicht mitkommen wollte.“ Maggie hob die Hände. „Kate, dein Jem ist ein außergewöhnlicher Junge. Du kannst sehr stolz auf ihn sein. Er hat sich geweigert, seinen ohnmächtigen Freund allein zu lassen. Tel sollte nicht im Dunkeln aufwachen, ohne dass jemand bei ihm wäre.“
„Oh Gott, steh mir bei …“, schluchzte Kate auf und wandte sich Halt suchend an Nick, doch der stand nicht mehr neben ihr.
„Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe!“, schäumte er. „Er ist erst acht, um Himmels willen! Ich gehe runter und hole ihn.“ Damit schob er sich zwischen den Rettungskräften hindurch, die immer noch daran arbeiteten, den Eingang zur Mine zu vergrößern.
„Dr. Roberts, das darf ich nicht zulassen.“ Der Mann war erheblich jünger als Nick, strahlte aber genauso viel Autorität aus. Seiner Montur und seinem Auftreten nach zu schließen war er der Leiter des Einsatzteams.
„Sie können mich nicht aufhalten.“ Nick baute sich vor ihm auf. „Ich war schon an Rettungseinsätzen beteiligt, als Sie noch zur Schule gingen.“
„Mag sein, Doktor, aber in diesem Fall brauchen wir eine spezielle Ausrüstung, für die Sie nicht ausgebildet sind. Sobald die Vorbereitungen abgeschlossen sind, werden meine Leute und ich die Jungen herausholen. Niemand sonst.“
Nick war anzusehen, dass ihm das gar nicht schmeckte. Wahrscheinlich hat ihm lange keiner widersprochen, dachte Maggie. Als Seniorchef der Gemeinschaftspraxis war es der Mittfünfziger sicher gewohnt, das Sagen zu haben.
Er war zwar schlanker als Adam oder Mike, aber der Zugang zum Stollen war immer noch zu schmal, als dass er hindurchgepasst hätte. Und mit seinen langen Beinen hätte er unten in der
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