JULIA ARZTROMAN Band 26
reichte Adam ihr ein Ersatzpaar, und sie stopfte es in eine Seitentasche ihres Overalls. „Wie tief ist der Junge abgestürzt?“
„Er ist nicht nur gefallen, sondern unter einem Haufen Steine begraben worden“, erklärte sie. Obwohl er sie grimmig ansah, tat es ihr gut, dass er ärgerlich war. Sie spürte, dass es Ausdruck seiner Sorge war. Wie lange schon hatte sich niemand mehr richtig Sorgen um sie gemacht? Selbst Mike zuckte mehr oder minder nur die Schultern, wenn er oder sie sich bei einem Einsatz verletzten. Das gehörte zum Job.
„Hinten am Kopf hat er eine ziemlich große Beule. Ich hoffe, er ist deswegen und nicht aus einem anderen Grund ohnmächtig geworden. Anzeichen für weitere Schädelverletzungen konnte ich nicht finden. Ich habe ihm eine HWS-Stütze angelegt, und zurzeit läuft die zweite Infusion.“
Sie überlegte. „Gefahr, dass er verblutet, besteht nicht, denke ich. Allerdings hat er sich einige Rippen gebrochen. Anfangs hatte er ziemliche Atembeschwerden, aber das hat sich gegeben, nachdem ich die Steine von seiner Brust geräumt habe. Kein Hinweis auf Pneumothorax. Schienbein und Wadenbein sind gebrochen, doch ich glaube nicht, dass er aus einer Arterie geblutet hat. Die Lache ist zwar groß, aber die Wände dort unten sind sehr feucht. Es könnte mehr Wasser als Blut sein.“
„Miss?“, ertönte eine zaghafte Stimme hinter ihr.
Maggie drehte sich um. Vor ihr stand eine verhärmte Frau, die jünger sein musste als sie aussah. Im grellen Scheinwerferlicht wirkte ihr Gesicht kalkweiß. Unruhig knetete sie ihre Finger. „Die Leute haben gesagt, dass Sie unten in der Mine waren.“
„Ja, das stimmt. Ich gehe gleich wieder rein.“ Intuitiv wusste sie, wer die Frau war. „Sie sind Tels Mutter, nicht wahr?“
Sie nickte. „Amanda Lovelace … Mandy“, fügte sie hinzu und biss sich auf die Lippe, ehe sie hastig hervorstieß: „Bitte, sagen Sie mir, was mit meinem Jungen ist. Sie haben die anderen drei herausgeholt. Heißt das, er … er ist …?“
„Tel ist bewusstlos“, sagte Maggie schnell, um ihr das schreckliche Wort zu ersparen. „Er ist gestürzt und hat sich das Bein gebrochen. Deshalb dauert es auch so lange, ihn zu bergen. Wir müssen ihn auf einer Trage hertransportieren, damit ihm nicht noch mehr passiert.“
„Aber er lebt? Sie sind sicher, dass er lebt?“ Mandy packte ihre Hand, und Maggie musste sich sehr beherrschen, sie ihr nicht zu entreißen. Die winzigen Wunden brannten noch immer.
„Er atmet, und sein Herz schlägt gleichmäßig.“ Maggie konzentrierte sich auf die Fakten und lächelte die Mutter beruhigend an. „Am Kopf hat er eine Beule, so groß wie ein Gänseei. Wahrscheinlich wird ihm ordentlich der Schädel brummen, wenn er aufwacht, aber …“
„Oh, danke! Vielen, vielen Dank!“, rief Mandy unter Tränen aus. „Er macht ständig irgendwelche Dummheiten. Das guckt er sich von seinen großen Brüdern ab, leider, und sein Vater ist nie da, wenn man ihn braucht. Aber Tel ist kein schlechter Junge, wirklich nicht.“
„Miss Pascoe?“, unterbrach der Einsatzleiter ihr Gespräch, anscheinend bereit für den nächsten Schlagabtausch. „Ich weiß, dass Sie es gut meinen, aber ich muss darauf bestehen, dass Sie hierbleiben. Sie würden sich unnötig in Gefahr begeben. Denken Sie bitte an die beruflichen Konsequenzen.“
Maggie versprach Tels Mutter, dass sie informiert würde, sobald es Neuigkeiten von ihrem Sohn gäbe. Dann wandte sie sich dem Mann zu, der sich für sie inzwischen zu einer wahren Plage entwickelte.
Ihr war klar, dass er nur seinen Job machte, aber dadurch wurde es für sie nicht einfacher. Wenn sie erst gründlich darüber nachdachte, was sie hinter diesem dunklen Loch erwartete, würde sie endgültig der Mut verlassen. Eigentlich hätte sie nichts lieber getan, als sich seinen Anweisungen zu fügen. Sie wollte ja hierbleiben, bei Adam, im Freien und ohne bei jedem Schritt Angst haben zu müssen, nicht genug Sauerstoff zum Atmen zu haben.
Leider hatte sie keine Wahl. Tief unten in der Mine warteten zwei achtjährige Jungen auf sie. Einer verletzt und ohne Bewusstsein, während der andere sicherlich jede Minute zählte und bei jedem Geräusch erwartete, dass es ihre Rückkehr ankündigte.
„Okay, wenn ich meinen Job verliere, kann ich es auch nicht ändern“, antwortete sie stur.
Mike hob anerkennend den Daumen und reichte ihr die Sachen, die sie verlangt hatte. Seine Unterstützung war ihr also sicher, und das
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