JULIA ARZTROMAN Band 26
Abbaukammer das nächste Problem. Wie sollte er über den Geröllhaufen in den dahinterliegenden engen Tunnel kommen? Dort, wo Tel verschüttet lag, wäre kaum Platz für den Arzt.
„Ich hoffe, Sie wollen mich nicht auch davon abhalten, wieder hinunterzugehen“, mischte sie sich ein, bevor Nick widersprechen konnte.
Auf einmal stand Adam hinter ihr. Sie hatte ihn nicht kommen sehen oder seine Schritte gehört, aber sie spürte seine Nähe. Stumm leistete er ihr den Beistand, den sie so dringend nötig hatte, um zu tun, was getan werden musste.
„Bis der Eingang groß genug ist, bin ich die Einzige, die sich um Tel kümmern kann.“
Natürlich wollte sie nicht in die finstere Gruft zurück. Auf das erdrückende Gefühl, dass tonnenschwere Felsen auf ihr lasteten, die ihr die lebensnotwendige Luft zum Atmen nahmen, konnte sie gut verzichten. Schon bei dem Gedanken, sich wieder durch das Loch zu schieben, bekam sie Beklemmungen.
„Ich fürchte, Sie müssen hierbleiben“, erwiderte der Teamleiter nachdrücklich. „Das Letzte, was wir in einer solchen Situation gebrauchen können, sind Amateure, die durch die Mine stolpern, ehe wir sie richtig abgesichert haben. Weil die Zeit drängt, haben wir den Eingang nur provisorisch abgestützt, aber wir sind bald so weit, dass wir mitsamt unserer Ausrüstung reingehen und …“
„Moment mal“, unterbrach sie ihn energisch. „Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass Sie hier oben streng nach Vorschrift vorgehen, während dort unten ein achtjähriger Junge im Dunkeln bei seinem verletzten Freund sitzt? Der Freund blutet stark aus einer offenen Unterschenkelfraktur. Ihnen muss ich doch nicht erzählen, dass ihm unter Umständen akutes Nierenversagen droht?“ Maggie war so empört, dass sie sicherheitshalber ein bisschen übertrieb.
„Tut mir leid, ich kann Sie nicht gehen lassen. Ich weiß, dass Sie Sanitäterin sind, aber für Einsätze wie diese sind Sie nicht ausgebildet. Sie könnten Ihren Job verlieren, wenn Sie sich meiner Anweisung widersetzen.“
„Dann suche ich mir eben einen neuen Job!“ Maggie straffte die Schultern. Viel half es nicht. Alle Umstehenden überragten sie, und die meisten waren mindestens einen Kopf größer. „Ich werde hier auf keinen Fall Däumchen drehen, während der Infusionsbeutel leer läuft und Jem in Panik gerät, weil er nicht weiß, was er tun soll.“
Entschlossen drehte sie sich zum Mineneingang um. Adam blieb dicht neben ihr. Sofort fasste sie neuen Mut. „Adam, ich brauche noch mehr Kochsalzlösung und eine Schaufeltrage, falls ich Tel befreien kann, ehe ihr unten seid. Ein Brecheisen wäre auch nicht schlecht, damit könnte ich die schweren Steine bewegen. Ach ja, eine Decke und etwas zu essen für Jem. Wahrscheinlich hat er mittags zuletzt etwas gegessen.“
Sie schwieg, um zu überlegen, ob sie etwas Wichtiges vergessen hatte. Viel konnte sie auf den steilen Stufen sowieso nicht tragen. Adam sah Mike an, und der nickte nur, ehe er den von Flutlicht erhellten Platz verließ, um zum Rettungswagen zu laufen und die Sachen zu holen.
„Maggie, bist du sicher, dass du das wirklich tun willst?“, fragte Adam sanft, als er sich ihr wieder zuwandte. Vom Lärm des Generators vor neugierigen Ohren geschützt sprach er leise weiter. „Ich weiß, wie sehr du geschlossene Räume hasst. Vorhin habe ich dich dazu überredet, in diese Mine zu gehen, aber jetzt … Was ist?“ Maggie war zusammengezuckt, nachdem er ihre Hand in seine genommen und gedrückt hatte.
Es hatte keinen Zweck, die Finger wegzuziehen.
„Verdammt, Maggie, was ist passiert?“ Bestürzt sah er auf die eingerissenen, blutbefleckten Handschuhe. „Was hast du mit deinen Händen gemacht?“
„Das ist nicht mein Blut, Adam“, versicherte sie ihm rasch. Dabei wusste sie genau, dass es nicht die ganze Wahrheit war. Niemals hätte sie in dem Geröll wühlen können, ohne sich die Haut aufzuschürfen. Aber sie war gerührt, dass er sich offensichtlich Sorgen um sie machte. „Es ist Tels. Ich musste blind ertasten, wo genau er verletzt ist und woher das Blut kam.“
„Wie schwer ist er verletzt?“ Adam half ihr, die Handschuhe abzustreifen, und entdeckte dabei die Schrammen und feinen Schnitte, mit denen ihre Haut übersät war. Sein zorniger Seitenblick sprach Bände.
Maggie sprühte ein Antiseptikum auf ihre geschundenen Hände und biss die Zähne zusammen, weil es wie Feuer brannte. Behutsam streifte sie sich frische Handschuhe über.
Schweigend
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