JULIA ARZTROMAN Band 26
besann sich aber. „Entschuldige, ich bin ein bisschen abgelenkt.“
Sie seufzte, streckte die Hand aus, überlegte es sich anders und zog sie wieder zurück, ohne ihn berührt zu haben. „Hast du heute Abend etwas vor? Ich habe von fünf bis halb sieben Sprechstunde und danach frei. Wir könnten uns treffen und reden.“
Er nickte. „Gern.“
„Und jetzt“, begann sie mit spöttischem Unterton, „wäre es möglich, dass du nicht ständig auf meinen Bauch starrst und stattdessen zuhörst, was ich dir über unsere Wundversorgung erzähle?“
„Klar.“ Ben brachte ein Lächeln zustande, aber im Grunde wünschte er sich den Abend herbei, um endlich von hier zu verschwinden.
„Komm, ich zeige dir, was wir haben.“
Der Raum war höchstens doppelt so groß wie ein Sprechzimmer und im ersten Stock gelegen. Nicht gerade ideal.
Genau das sagte er ihr.
„Das wissen wir. Wir bemühen uns um Finanzmittel für eine Erweiterung.“ Lucy setzte ihre Erläuterungen fort. „Im Sommer kommen auch Touristen zu uns. Die üblichen Verletzungen – Insektenstiche, Verstauchungen, Schnittwunden und Frakturen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Leute ohne Erste-Hilfe-Tasche in den Urlaub fahren.“
Ben lachte leise. „Doch. Die rennen uns die Türen ein.“
„Stimmt, das hatte ich vergessen“, sagte sie und lächelte ihn an.
Er verlor sich in diesem bezaubernden Lächeln, und augenblicklich schweiften seine Gedanken wieder ab.
Lucy holte ihn zurück, als sie weitersprach. „Surfer haben wir das ganze Jahr hindurch, vor allem aber in den wärmeren Monaten. Nicht wenige verletzen sich an den Felsen, manche kollidieren mit anderen Surfern oder machen unangenehme Bekanntschaft mit dem Giftstachel der Petermännchen. Zu uns kommen all die, für die die Erstversorgung durch die Rettungsschwimmer am Strand nicht ausreicht. Dann die Einheimischen, überwiegend Farmer, Fischer und ihre Familien. Meistens sind es berufsbedingte Verletzungen. Ich habe vergessen, wie viele Tetanusspritzen wir im letzten Jahr verabreicht haben.“ Und sie zählte weiter auf, welche Notfälle sie selbst versorgten und welche sie ans Krankenhaus weiterleiten mussten.
„Wie sieht es mit Reanimation aus?“
„Standardausrüstung für Allgemeinarztpraxen im ländlichen Raum“, antwortete sie. „Wir haben einen Defibrillator, Sauerstoffgerät und Vernebler natürlich, ein 12-Kanal-EKG und einen Herzmonitor …“
Sie ratterte eine Liste von Dingen herunter, die vorhanden waren, und nannte weitere, die sie anschaffen wollten. Ben war beeindruckt.
„Du hast deine Hausaufgaben gemacht“, sagte er sanft.
Lucy stieß einen Seufzer aus. „Glaubst du, wir hätten dich sonst hergeholt? Ben, ich bin fest entschlossen, den Bereich auszubauen. St. Piran ist zu weit weg. Die Straßen sind eng, kurvenreich und holperig, für Patienten mit Frakturen eine Tortur. Dabei könnten wir unkomplizierte Brüche hier versorgen. Der Bedarf ist da.“
„Sicher.“ Er sah sich um. „Wo wollt ihr den Röntgenapparat aufstellen? Dafür braucht ihr ziemlich viel Platz.“
„Am Ende der Mole?“ Ihre Augen funkelten vergnügt, und Ben musste lachen.
„Nette Idee, aber leider nicht besonders praktisch. Habt ihr einen freien Raum?“
„Dummerweise nicht. Kate würde sagen, zu ebener Erde wäre es ideal. In einer alten Stadt wie dieser ist das jedoch schwierig. Die Bucht ist klein, die Häuser sind schmal gebaut und kleben wie Schwalbennester an den steilen Hängen. Die einzige Möglichkeit für einen Neubau wäre außerhalb des Ortes, aber das ist auch nicht das Gelbe vom Ei.“
„Es sei denn, ihr baut in der Nähe der Kirche, auf halbem Weg zwischen Altstadt und Strand. Für die Touristen, einschließlich der Urlauber auf dem Campingplatz, wäre das nicht schlecht. Und die Einheimischen, die nicht im Zentrum wohnen und sowieso mit dem Wagen zu euch kommen, hätten auch etwas davon.“
„Die Idee hatten wir auch schon. Leider haben die Behörden uns keine Baugenehmigung gegeben. Außerdem hätten wir es uns nicht leisten können. Grandioser Blick auf Meer und Strand – das sind die Sahnestücke der Gemeinde.“ Sie seufzte. „Tja, Ben, das hier ist alles, was wir haben. Und ein kleines Gartengrundstück hinter dem Haus. Es wird kaum genutzt. Wann auch? Im Sommer haben wir so viel zu tun, dass keine Zeit für entspannende Pausen im Grünen bleibt. Und im Winter? Wer stellt sich schon bei Wind und Wetter nach draußen?“
„Kann ich es mal
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