JULIA ARZTROMAN Band 26
dir die kleine Michelle ansehen. Jetzt gleich!“ Sie warf Amy einen entschuldigenden Blick zu. „Tut mir leid. Möchtest du solange oben im Personalraum einen Kaffee trinken?“
„Michelle?“, fragte Marco stirnrunzelnd.
Kate sah ihn verblüfft an. „Ja, Michelle! Was ist los mit dir?“ Ihr Blick glitt zu Amy, und sie errötete, als hätte sie gerade erst begriffen, was los sein könnte. „Michelle Watson. Carol hatte den Krankenwagen gerufen, aber anscheinend hätte er zwanzig Minuten gebraucht, weil er hinter einem Räumfahrzeug festsaß. Du meine Güte, in Europa haben sie meterhoch Schnee, und der Verkehr geht trotzdem weiter. Bei uns brauchen nur ein paar Flocken zu rieseln, und schon sind die Straßen dicht.“
„Michelle Watson, ach ja.“ Marco erhob sich. „Bring sie rein.“
„Watson?“ Amy erinnerte sich. „Carols Baby?“
„Sie ist kein Baby mehr“, sagte er knapp. „Du warst zwei Jahre weg, Amy.“
„Ja, aber …“ Sie unterbrach sich. Was hätte sie zu ihrer Verteidigung vorbringen können? Die Wahrheit? Dass sie seinetwegen gegangen war? Unmöglich, das würde alles nur noch komplizierter machen. „Du hast recht“, fuhr sie leise fort und fühlte sich hundeelend. Sie wollte ihm so viel sagen und konnte es nicht.
„Hol dir einen Kaffee. Oder geh. Das kannst du ja gut.“
„Wir müssen erst miteinander reden.“
Marco riss einen Schrank auf und schnappte sich das Pulsoximeter. „Dann musst du warten, bis ich Zeit habe“, grollte er. „Ich glaube, der nächste Termin ist frühestens in einer Woche zu haben. Frag die Mädchen am Empfang. Vielleicht können sie dich irgendwann dazwischenschieben.“
2. KAPITEL
Die Tür flog auf, und Kate erschien wieder, gefolgt von Carol, die ein Kleinkind auf den Armen trug. Die flauschige rosa Decke hüllte es fast vollständig ein. Hinter ihnen kam ein mürrisch dreinblickender Teenager herein, das hübsche Gesicht unter einer dicken Schicht Schminke verborgen.
Amy wollte das Zimmer verlassen, sah jedoch auf das Kind und wusste sofort, dass es ernst war. Die Kleine kämpfte um jeden Atemzug.
„Oh, Dr. Avanti!“ Panik beherrschte Carols Stimme. „Gott sei Dank, dass Sie da sind. Sie war so erkältet und ist heute Nacht immer wieder aufgewacht. Und heute Morgen ging es ihr richtig schlecht. Ich habe einen Krankenwagen gerufen, aber der steckte an der Küstenstraße fest, und Sie wissen doch immer, was zu tun ist, also bin ich einfach losgefahren, in der Hoffnung, dass Sie …“
„ Calma . Beruhigen Sie sich, Carol“, beschwichtigte er sie, doch sein scharfer Blick auf das Kind verriet, dass ihm der Ernst der Lage bewusst war. „Sie haben genau das Richtige getan.“
Amy trat einen Schritt vor. Ihre eigenen Probleme waren schlagartig vergessen. „Lass mich helfen. Was soll ich tun, Marco?“
Ein flüchtiger Blick zu ihr, dann nickte er kurz. „Geben wir ihr Sauerstoff.“
„Soll ich den Vernebler vorbereiten?“
„Ich möchte ihr den Beta-2-Agonisten lieber über ein Dosieraerosol mit Inhalationshilfe geben. In ihrem Alter ist das wirkungsvoller als ein Vernebler.“ Er wandte sich wieder dem Kind zu und tastete behutsam die Nackenmuskeln ab. „Mi chelle, angelo mia , was machst du für Sachen?“
Niemand hätte für möglich gehalten, dass Marco eine Minute vorher noch vor Zorn gekocht hatte. Keine Spur mehr von dem harten Unterton oder dem Ärger, der in ihm gebrodelt hatte.
Er konnte schon immer großartig mit Kindern umgehen, dachte Amy, während sie ihm die Sauerstoffmaske reichte. Seine Stärke gab ihnen Sicherheit, und seine sanfte Art schaffte Vertrauen. Stark und sanft zugleich, eine unwiderstehliche Mischung.
Carol drückte ihr Kind an sich und sah hilflos zu Marco auf. „Sie hat kaum gefrühstückt und sich gleich danach erbrochen. Hinterher bekam sie kaum Luft. Es war furchtbar!“
Der Teenager verdrehte die Augen und ließ sich gegen die Wand sinken. „Oh Mann, Mum, beruhige dich.“ Sie hustete ein paar Mal. „Du machst aus allem gleich ein Drama.“
„Halt dich zurück, Lizzie“, fuhr Carol sie an. „Du hast ihr Frühstück gegeben! Du hättest viel eher merken müssen, dass sie keine Luft bekam.“
„Bin ich ein verdammter Arzt, oder was?“, kam die missmutige Antwort. Amy entging jedoch nicht der sorgenvolle Ausdruck in Lizzies Augen. Sie erinnerte sich, dass Carol zum zweiten Mal verheiratet war. Lizzie musste also aus ihrer ersten Ehe stammen.
Besonders harmonisch schien es bei den
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