JULIA ARZTROMAN Band 26
Notfall erlebt. Vielleicht profitierte er von seiner langjährigen Erfahrung als Krankenhausarzt. Oder war er von Natur aus ein Mann, der mit Stresssituationen mühelos fertig wurde?
Carol warf ihm einen besorgten Blick zu. „Müssen wir mit ihr ins Krankenhaus? Mein Mann wartet zu Hause, um den Sanitätern Bescheid zu sagen, dass wir hier sind. Lizzie kann eben hinlaufen und sie herholen, wenn es nötig ist.“
„Warum ich? Es gibt Telefone, Mum!“ Lizzies gute Laune schien verflogen. „Draußen ist es schweinekalt.“
„Warum kannst du nicht ein Mal einfach helfen?“, fuhr Carol sie an. Sie presste die Lippen zusammen und fuhr leiser fort: „Du denkst nur an dich!“
„Einer muss es ja machen, wenn du es nicht tust.“
„Elizabeth!“
„Ach, lass mich doch in Ruhe.“ Hustend stürmte Lizzie aus dem Zimmer und warf die Tür geräuschvoll hinter sich zu.
Carol zuckte zusammen. Ihr Gesicht war rot vor Verlegenheit und Ärger. „Als hätte ich nicht genug am Hals“, sagte sie mit bebender Stimme. „Es tut mir leid, dass sie sich so aufführt. Ich habe keine Ahnung, was mit Lizzie los ist. In den letzten Monaten hat sie sich total verändert. Früher war sie nett und lieb und hat sich wundervoll um Michelle gekümmert. Aber jetzt geht sie bei der kleinsten Kleinigkeit hoch.“
„Das ist die Pubertät“, erklärte Amy, damit Marco sich darauf konzentrieren konnte, den Bericht fürs Krankenhaus zu schreiben.
„Sie ist ständig unterwegs. Manchmal weiß ich überhaupt nicht, wo sie ist. Und in der Schule geht es auch bergab. Dabei hatte sie so gute Zensuren.“ Sie drückte Michelle an sich. „Außerdem trifft sie sich mit diesen schrecklichen Lovelace-Kindern. Jeder weiß, was das für Typen sind. Die hängen nachts auf der Straße herum, und ich würde mich nicht wundern, wenn sie Drogen nähmen …“
Auch das gehörte dazu, wenn man in einer Landarztpraxis arbeitete. Amy rieb sich die schmerzenden Schläfen und fragte sich, wie Marco es schaffte, so entspannt zu bleiben.
Schwungvoll tippte er eine Taste auf seiner PC-Tastatur an und blickte zu Carol hinüber. „Haben Sie sich schon an die Schule gewandt?“
„Zwei Mal. Jedes Mal musste ich mir einen Vortrag darüber anhören, wie man mit Mädchen im Teenageralter umgeht.“
Der Drucker warf den Bericht aus. „Wie stark sind Lizzies Stimmungsschwankungen?“
„Fast unerträglich.“
„Seit wann hat sie diesen Husten?“ Marco nahm das Blatt und unterschrieb.
„Husten?“ Verwirrt blickte sie ihn an. „Ich weiß es nicht. Aber jetzt, wo Sie es sagen … ich glaube, schon länger. Einmal habe ich sie gefragt, ob sie raucht, aber sie sah mich nur mit einem dieser verächtlichen Blicke an und marschierte aus dem Zimmer.“
Marco steckte den Bericht in einen Umschlag und reichte ihn ihr. „Lizzie kommt in ein schwieriges Alter“, sagte er sanft. „Sie ist noch keine Frau, aber auch kein Kind mehr. Verständlich, dass sie unsicher ist und sich gegen alles und jeden auflehnt. Das ist völlig normal.“
„Meinen Sie wirklich?“
„Wir reden ein andermal ausführlich darüber.“ Er schob den Kugelschreiber wieder in die Brusttasche seines Arztkittels. „Heute ist Michelle die Hauptperson. Sie wird sich erholen, da bin ich ganz sicher. Aber zu Ihrer Beruhigung möchte ich sie ins Krankenhaus einweisen. Sie haben für heute genug Sorgen gehabt, und im Krankenhaus ist sie gut aufgehoben. Dann haben Sie ein bisschen Luft und können sich mehr um Lizzie kümmern.“
„Wenn ich nur wüsste, wie“, sagte Carol mutlos. „Was ich auch mache, es ist falsch. Manchmal ist sie kaum ansprechbar, und dann wieder springt sie mir fast ins Gesicht, sobald ich etwas zu ihr sage. Kleinkinder sind nicht so anstrengend wie Teenager, finde ich.“
Er lächelte verständnisvoll. „Mütter haben den schwierigsten Job der Welt, weil sie ständig neue Fähigkeiten brauchen. Aber Sie sind eine gute Mutter, und gute Mütter finden immer einen Weg … vergessen Sie das nicht.“
Amy fing Carols dankbaren Blick auf und wandte sich ab. Zu schmerzlich war das Gefühl, das ihr plötzlich die Kehle zuschnürte. Musste er so einfühlsam sein? Konnte es ihm nicht egal sein, ob Carol mit ihrer älteren Tochter Probleme hatte? Als Arzt war er doch nur bei der Kleinen gefragt.
Hätte er sich unsensibel verhalten, wäre alles einfacher.
Leider genügten zehn Minuten, um ihre ärgsten Befürchtungen zu bestätigen. Selbst nach zwei Jahren Trennung hatten sich
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