Julia Arztroman Band 62
Anblick seiner großen, maskulinen Gestalt ließ Ginas Herz noch schneller schlagen.
„Werden Sie mir noch eine letzte Frage beantworten?“
„Wenn ich kann.“
„Sind Sie wegen mir in Florenz geblieben?“
Gina biss sich auf die Unterlippe. Sie würde es nicht schaffen, ihm direkt ins Gesicht zu lügen. „Ja, bin ich. Wenn das jetzt alles war …“
Verdammt, wie gern hätte sie ihn berührt, ihre Hand auf seinen Arm gelegt und ihm auch noch den Rest erzählt: Dass sie geblieben war, weil sie sich in ihn verliebt hatte und glaubte, dass auch er sie liebte. Aber wozu? Irgendwann würde Marco sich an alles erinnern, an diese wenigen wunderschönen Wochen, die sie miteinander verbracht hatten … und auch daran, dass sein Interesse an ihr von einem Tag auf den anderen erloschen war. Gina brannten Tränen in den Augen, und sie wandte sich rasch ab. Er sollte sie nicht weinen sehen, sollte ihr nicht ihre Würde nehmen …
„Es tut mir wirklich unendlich leid, Gina, dass ich mich nicht daran erinnere.“
Das Bedauern in seiner Stimme war zu viel für sie. Beinahe fluchtartig verließ sie ihr Büro und beschloss, in der Kantine noch einen Kaffee zu trinken, um sich zu beruhigen. Sie ging zum Aufzug, und kaum hatten sich die Türen hinter ihr geschlossen, ließ sie ihren so mühsam zurückgehaltenen Tränen freien Lauf.
Sie hatte Marco so geliebt! Mit ihrem Herzen, ihrer Seele, mit ihrem ganzen Selbst, aber das war nicht genug gewesen. Nicht für ihn. Er hatte ihre Liebe angenommen und sie dann eiskalt abserviert. Was immer sie und Marco verbunden hatte, war vorbei. Sie durfte sich nicht von ihren wieder aufgeflammten Gefühlen beirren lassen, sondern musste sich auf Lily konzentrieren. Alles andere war unwichtig.
Das Gespräch mit Gina hatte Marco keine Klarheit gebracht. Im Gegenteil, er hatte die halbe Nacht wach gelegen und darüber nachgedacht, was er von ihr erfahren hatte. Und was noch wichtiger war: was er nicht erfahren hatte. Er spürte, dass Gina ihm etwas verschwieg. Nicht zu wissen, was zwischen ihnen vorgefallen war, machte ihn wahnsinnig. Doch wenn er der Sache auf den Grund gehen wollte, musste er zuerst einmal raus aus diesem verdammten Krankenhaus. Als Steven Pierce um kurz nach acht an sein Bett trat, konnte er seine Ungeduld kaum noch zügeln.
„Guten Morgen, Dr. Andretti. Wie geht es Ihnen heute?“, erkundigte sich Steven und nahm Marcos Krankenakte zur Hand.
Marco schielte an ihm vorbei, sah, dass Gina nicht mitgekommen war, und merkte, wie sehr er ihre sanfte Stimme und ihr wunderschönes Lächeln vermisste. Die Welt erschien ihm als ein viel schönerer Ort, wenn Gina in der Nähe war. Plötzlich wusste er, dass er dieses Gefühl kannte. Es war ihm sehr vertraut, es kam tief aus seinem Inneren. Da muss mehr zwischen uns gewesen sein als nur eine lockere Affäre, dachte er, und die Vorstellung, dass nach Francesca eine andere Frau solche Gefühle in ihm ausgelöst hatte, erschreckte ihn.
„Dr. Andretti?“
„Scusi“ , murmelte er, als ihm auffiel, dass der Arzt auf eine Antwort wartete. „Es geht mir schon viel besser. Und mir sind inzwischen auch wieder ein paar Dinge eingefallen.“
„Prima, das höre ich gern.“
„Sagen Sie, wie lange dauert es erfahrungsgemäß, bis ich mich wieder an alles erinnere?“
„Diese Frage lässt sich leider nicht beantworten. Es kann Tage dauern, aber auch Monate“, erklärte Steven ernst. „Ich will offen zu Ihnen sein, Dr. Andretti. Es ist auch möglich, dass Ihre Erinnerungen nie mehr vollständig zurückkehren. Aber das wollen wir nicht hoffen. Im Moment kann ich Ihnen nur raten, einen Schritt nach dem anderen zu tun und die Geduld nicht zu verlieren.“
Marco wusste, dass es ein guter Rat war, den er seinen eigenen Patienten auch gegeben hätte. Doch einen Rat zu erteilen und einen Rat zu befolgen, waren zwei Paar Schuhe. „Gibt es denn keine Mittel, um diesen Prozess zu beschleunigen?“
„Nein, ich fürchte nicht.“ Der Arzt wirkte von seiner Nachfrage überrascht. „Ruhe und Entspannung sind im Moment am hilfreichsten. Deshalb habe ich auch dafür gesorgt, dass Sie ein Einzelzimmer bekommen.“
„Nein.“ Marco schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht vor, noch länger zu bleiben. Ich fühle mich absolut in der Lage, das Krankenhaus zu verlassen.“
„Das halte ich für keine gute Idee …“, begann Steven, doch Marco ließ ihn nicht ausreden.
„Mein Entschluss steht fest. Körperlich bin ich fit genug, stimmen Sie
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