Julia Arztroman Band 62
Beispiel verbringe ich meine Freizeit? Wohin ging meine letzte Urlaubsreise? Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“ Er seufzte schwer.
„Setzen Sie sich doch.“ Gina deutete auf einen Stuhl und stellte dann den Wasserkocher an. „Ich mache Ihnen eine Tasse Kaffee. Ist leider nur Instantkaffee. Ich glaube nicht, dass Sie den mögen, aber etwas anderes haben wir nicht.“
„Genau das meine ich.“ Marco seufzte frustriert. „Ich weiß nicht einmal, welcher Kaffee mir schmeckt.“
Ein mitfühlendes Lächeln huschte über Ginas Gesicht. „Tut mir leid, ich hätte das nicht erwähnen sollen, dann wären Sie jetzt nicht enttäuscht.“
Jetzt lachte Marco. „Unwissenheit ist manchmal ein Segen, heißt es nicht so?“
„Hm, ja.“ Plötzlich verschwand ihr Lächeln. „Manchmal ist es wirklich besser, in Unwissenheit zu leben.“
Marco sagte dazu nichts. Doch er wusste, dass Gina mit dieser Bemerkung nicht auf seinen Gedächtnisverlust anspielte. Er war sich inzwischen ganz sicher, dass es etwas Wichtiges gab, das sie vor ihm verheimlichen wollte.
Gina zitterte innerlich vor Nervosität, als sie die beiden Tassen auf ihren Schreibtisch stellte und sich wieder setzte. In den letzten Minuten hatte sie eine Entscheidung getroffen: Sie würde Marco nichts von Lily erzählen. Möglich, dass sie das irgendwann einmal bereute, aber darüber konnte sie sich Gedanken machen, wenn es soweit war.
Lily war ein glückliches kleines Mädchen, das in einem ruhigen, stabilen Zuhause aufwuchs, und das sollte so bleiben. Gina hatte es bei Freunden miterlebt, wie schwer es Kindern gefallen war, sich an die neuen Partner der Mutter oder des Vaters zu gewöhnen. Das wollte sie Lily unter allen Umständen ersparen. Außerdem konnte sie Marcos Reaktion nicht einschätzen. Vielleicht würde ihn die Mitteilung, dass er eine Tochter hatte, nicht sonderlich berühren. Es konnte aber auch sein, und das machte ihr sehr viel größere Sorgen, dass er in Lilys Leben eine Rolle spielen wollte, zumindest für eine gewisse Zeit. Die Vorstellung, dass Lily ihm ihre Liebe schenkte, nur um irgendwann von ihm enttäuscht zu werden, war für Gina unerträglich. Zumal sie aus eigener Erfahrung wusste, wie schnell sich Marcos Gefühle ändern konnten.
Gina trank einen Schluck Kaffee, um sich zu beruhigen. Wenn sie ihren Entschluss durchziehen wollte, musste sie ganz genau darauf achten, was sie sagte.
„Wie haben wir uns kennengelernt?“, fragte Marco unvermittelt.
Gina erschrak, als sie merkte, dass er sie aufmerksam beobachtete. Marco war sehr scharfsinnig, deshalb durfte sie jetzt keinen Fehler machen. Sie überlegte schnell und entschied, bei der Wahrheit zu bleiben – bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls.
„Das war vor ein paar Jahren in Florenz. Ich arbeitete damals für eine Organisation, die im Ausland erkrankte Klienten nach England zurückfliegt. Der Patient, den ich zurückholen sollte, hatte einen Schlaganfall erlitten. Es war eigentlich eine Routineangelegenheit. Unglücklicherweise erlitt der Patient kurz vor meiner Ankunft einen weiteren Schlaganfall, und Sie als sein behandelnder Arzt entschieden, dass er nicht transportfähig sei.“
„Sind Sie dann allein nach England zurückgeflogen?“
Gina bemerkte die Neugier in seiner Stimme und wusste, dass Marco jetzt keine Ausflüchte hören wollte. „Nein. Die Familie des Patienten bat mich, während seines Krankenhausaufenthaltes bei ihm zu bleiben, um sicherzugehen, dass es dem älteren Herrn an nichts fehlt.“
„Wie lange sind Sie geblieben?“
„Sechs Wochen.“
Marco sah sie überrascht an. „Das kommt mir aber sehr lange vor. Der Patient war doch sicherlich schon früher wieder transportfähig.“
Das war genau der Teil der Geschichte, den sie nicht näher erklären wollte. „Leider verstarb er nach einer Woche.“
„Aber Sie sind trotzdem nicht nach England zurückgekehrt?“
Gina schüttelte den Kopf.
„Warum nicht?“
„Ach, wissen Sie, da ich noch nie in Florenz war, habe ich mich damals spontan entschlossen, Urlaub zu nehmen, um mir die Stadt und die Umgebung anzusehen.“
„Dann sind Sie also nur geblieben, um ein paar Sightseeing-Touren zu unternehmen?“ Sein Tonfall war ganz neutral, kein Grund also für den erregten Schauer, der sie plötzlich durchlief.
„Ja“, erwiderte sie knapp, stand auf und warf einen Blick auf ihre Uhr. „Verzeihen Sie, aber ich muss jetzt wirklich weitermachen.“
„Natürlich.“ Auch Marco erhob sich. Der
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