Julia Arztroman Band 62
Bettruhe gönnen. Wenn sie es bis zur sechsunddreißigsten Woche schafft, hören wir ab da mit der Medikation auf und lassen der Natur ihren Lauf.“
„Das heißt, im schlimmsten Fall können wir ein paar Tage gewinnen, und im besten Fall wird das Kind bis zum Ende ausgetragen?“, meinte er.
„Ja, genau.“
Paige hörte gar nicht mehr zu. Sie war wie betäubt, und sie hatte auch keine Tränen mehr übrig. Die Bilder von damals standen ihr vor Augen: die Zwillinge an der Herz-Lungen-Maschine; Daisys winziger weißer Sarg; Arnie, wie er sie verließ.
Ein trockenes Schluchzen entrang sich ihr.
„Paige!“
Sie schaute Valentino an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. „Lass mich in Ruhe“, flüsterte sie.
Valentino spürte, wie sie sich in sich selbst zurückzog. Am liebsten hätte er sie geschüttelt. Verdammt, sie durfte nicht einfach so aufgeben. Allein konnte er diesen Kampf nicht gewinnen, und sein Sohn auch nicht. Paige musste daran glauben, dass alles gut ausging. „Nein.“
„Was?“
„Ich hab Nein gesagt.“
Paige schüttelte den Kopf. Valentino begriff eben nicht, wie viel von ihr vor drei Jahren gestorben war. „Tu einfach das, was getan werden muss“, murmelte sie teilnahmslos.
Er warf Erica einen hilflosen Blick zu. „Was soll ich jetzt machen?“
„Das, was getan werden muss“, bestätigte die Ärztin.
Valentino sah zu Paige hin, die ihm so nah war und doch so unerreichbar wirkte. „Na schön.“
Gleichgültig ließ Paige alle medizinischen Maßnahmen über sich ergehen, ohne etwas davon mitzubekommen. Sie befand sich an einem warmen dunklen Ort, zusammen mit McKenzie, Daisy und ihrem kleinen Jungen, wo sie ihnen ein sanftes Wiegenlied vorsang. Und als Paige schließlich in einen tiefen Schlaf sank, waren sie alle glücklich.
Zwei Stunden später kam Erica auf die Entbindungsstation, um nach ihrer Patientin zu schauen. Sie ging sofort zum Wehenschreiber und blickte prüfend auf die Kurve. „Sie haben aufgehört“, erklärte sie leise.
Valentino nickte nur, zu erschöpft von seinem langen Flug und der Sorge um Paige, als dass er seine Freude und Erleichterung hätte zeigen können.
Erica sah ihn an und drückte ihm aufmunternd die Schulter. „Sie wird sich erholen“, meinte sie. „Paige hat eine Menge durchgemacht. Das ist einfach ihre Art, damit umzugehen. Wenn sie aufwacht, ist sie ein ganz anderer Mensch.“
Wieder nickte Valentino, aber sein Herz war schwer. Er hatte sich so sehr über das Baby gefreut. Darüber, Vater zu werden. Und dabei hatte er die seelischen Auswirkungen auf Paige völlig außer Acht gelassen. Als sie versucht hatte, ihm klarzumachen, dass sie eine weitere Fehlgeburt nicht verkraften würde, hatte er all ihre Einwände beiseite gewischt und ihr das Blaue vom Himmel herunter versprochen.
Wie arrogant von ihm.
„Es tut mir leid“, flüsterte er Paige zu.
Still und blass lag sie in ihrem weißen Krankenhemd in dem weißen Bett.
Als sie sich umdrehte und ihr Arm dabei halb vom Bett rutschte, schrak Paige aus dem Schlaf auf.
Valentino fuhr ebenfalls hoch. „Was ist? Bist du okay?“ Er sprang von dem Stuhl neben ihrem Bett auf, wo er vor einer Stunde eingeschlafen war, und beugte sich über sie. Gegen seine überwältigende Müdigkeit ankämpfend, blinzelte er durch gerötete Augen auf sie hinunter.
Paige sah das Zimmer, den Tropf und versuchte sich zu erinnern, was passiert war. Ihr Mund war trocken, und sie hatte Kopfschmerzen.
„Das Baby?“, fragte sie ängstlich.
Unwillkürlich fasste sie nach ihrem Bauch.
„Es ist alles in Ordnung.“ Beruhigend legte Valentino seine Hand auf ihre. „Er ist noch da. Fühl mal.“ Er schob ihre Hand über ihrem Bauch hin und her. „Erica konnte die Wehen stoppen.“
Valentino schaute auf den stetig wachsenden Stapel der Kurvenblätter. „Nichts“, stellte er fest. „Keine einzige Wehe.“
Paiges Herz pochte wie wild. Sie wagte kaum zu hoffen, dass er recht hatte. „Tatsächlich?“
Er lächelte. „Ja.“
„Es wird also alles gut?“
„Erica ist sehr optimistisch wegen der schnellen Reaktion deiner Gebärmutter auf die Medikamente. Du wirst sie weiter nehmen müssen, aber …“
Paige konnte es nicht fassen. Dabei hatte sie mit dem Schlimmsten gerechnet. „Wenn es sein muss, nehme ich eine ganze Lkw-Ladung von dem Zeug!“
Valentino lachte. „Zwei Tabletten pro Tag dürften ausreichen.“
Sie lachte ebenfalls, als er sich wieder auf seinen Stuhl setzte. Das Kinn in die Hände
Weitere Kostenlose Bücher