Julia Arztroman Band 62
versuch’s“, stieß sie keuchend hervor.
Libby stand mit einem Handtuch neben ihm bereit, das sie aus dem Schrank neben der Liege geholt hatte.
Da sagte Nathan: „Jetzt dürfen Sie pressen.“
Mit großer Anstrengung befolgte sie seine Anweisung, und Sekunden später wurde ein süßes kleines Mädchen in das Handtuch gewickelt und ihr in die Arme gelegt. Als das Neugeborene seine Lungen mit einem lauten Schrei dehnte, wurde die gespannte Stille im Wartezimmer von begeisterten Jubelrufen abgelöst.
Die beiden Ärzte lächelten sich an. In der Euphorie nach der gelungenen Geburt vergaß Libby alles außer der Tatsache, dass Nathan und sie diesen ganz besonderen Moment zusammen erlebt hatten. Unwillkürlich umarmte sie ihn, ehe er die Plazenta entfernte.
„Ich merke, wir müssen so was öfter machen, wenn ich dann eine solche Umarmung kriege“, meinte er leise. „Falls es sich so anfühlt, das Baby von jemand anderem auf die Welt kommen zu sehen, kannst du dir vorstellen, wie das beim eigenen Kind sein muss?“
„Nein, ich fürchte, das kann ich nicht“, gab sie in sachlichem Ton zurück, denn damit brachte er sie wieder auf den Boden der Realität zurück. „Ich habe schon lange aufgehört, mir unerfüllbare Dinge zu wünschen.“
„Verstehe“, erwiderte er ebenso sachlich. Dann wandte er sich wieder der überglücklichen jungen Mutter zu.
„Könnte jemand vielleicht meinen Mann anrufen und ihm sagen, dass er eine kleine Tochter hat?“, fragte Jodie, noch immer voller ehrfürchtigem Staunen. „Er ist der Trauma-Spezialist der Feuerwache im Stadtzentrum.“
Unterdessen war der bestellte Krankenwagen eingetroffen, und Libby antwortete: „Selbstverständlich. Und wir sagen ihm auch, dass Sie beide auf dem Weg zur Geburtsstation im Krankenhaus sind. Haben Sie denn schon einen Namen für das Baby?“
„Ja. Als wir wussten, dass es ein Oktober-Baby werden sollte, haben wir uns für Octavia bei einem Mädchen und Octavius bei einem Jungen entschieden.“
Nathan war bereits zu seinen eigenen Patienten zurückgekehrt, und sobald Jodie und ihr Töchterchen im Krankenwagen davongefahren waren, eilte auch Libby zu ihren Patienten zurück, die alle gut gelaunt warteten.
Im Laufe des Tages schwand Libbys Hochgefühl jedoch immer mehr. Früher hatte sie oft davon geträumt, einmal einen Jungen wie Nathan zu haben. Attraktiv, mit dunklen Haaren und dunklen Augen. Und ein blondes Mädchen mit einem fröhlichen Lächeln, so wie sie.
Doch diese Hoffnungen hatte er vor langer Zeit zunichte gemacht. Und Ians lässige Einstellung zur Ehe hatte allen Wünschen in dieser Richtung schnell ein Ende bereitet. Falls Libby also jemals ein eigenes Kind in den Armen halten sollte, musste vorher ein Wunder geschehen.
Wie Nathan vermutet hatte, wollte Toby die Herbstferien bei John am Fluss verbringen, wo er auch in einem kleinen Gästezimmer schlafen konnte.
Auf diese Weise war Nathan imstande, volle Tage in der Praxis mitzuarbeiten, was Hugos Abwesenheit wieder ausglich. Außerdem hatte er sogar etwas Zeit für sich, was nicht mehr oft vorkam, seitdem er Toby zu sich genommen hatte.
Als er und Libby eines Abends nach Hause gingen, sagte er zu ihr: „Mir ist heute nicht nach Kochen. Also werde ich mich umziehen und zum Essen in das Hotel fahren, wo wir Dads Abschied gefeiert haben. Hättest du Lust mitzukommen?“
Sie zögerte. Der Gedanke an ein gutes Essen in einer schönen Umgebung war verlockend. Sich dabei freundlich distanziert zu verhalten dagegen eher weniger.
Obwohl sie es eigentlich gar nicht wollte, antwortete sie jedoch: „Ja, warum eigentlich nicht? Ich habe auch keine Lust zu kochen. Ich fühle mich erschöpft und trist. Dann werde ich mir jetzt auch was anderes anziehen.“
„Vielleicht das blaue Kleid?“, schlug Nathan beiläufig vor. „Es stand dir sehr gut bei dem Erntefest in der Schule.“
„Ja, das wäre wahrscheinlich ganz passend.“ Libby verbarg ihr Erstaunen darüber, dass er sich daran erinnerte, was sie an dem Tag angehabt hatte. Allerdings hatte er ihr ja erst neulich bewiesen, wie gut sein Gedächtnis funktionierte.
„Wann willst du losfahren?“, fragte sie.
„In einer halben Stunde?“
„Wunderbar. Ich bin am Verhungern. Und diesmal möchte ich dich einladen, einverstanden? Als ich beim letzten Mal meine Rechnung dort begleichen wollte, war nämlich schon alles bezahlt.“
„Ja, und? Du warst schließlich mein Gast.“
„Trotzdem.“
Nathan seufzte. „Ich habe dir
Weitere Kostenlose Bücher