Julia Arztroman Band 62
doch gesagt, ich würde mich gerne dafür revanchieren, dass du einen großen Teil der Party wegen Toby versäumt hast. Also lass uns deshalb nicht streiten, ja?“
„Na schön“, meinte sie schließlich. Vielleicht war das, was nach der Party im Hotel zwischen ihnen passiert war, einfach nur ein Ausrutscher gewesen. Ein Moment der Verrücktheit, der plötzlich wie aus dem Nichts gekommen war. Heute Abend waren sie bloß zwei Ärzte, die sich bei einem leckeren Essen entspannten.
Vor ihren beiden Hauseingängen trennten sie sich. Und als Libby nach oben ging, um zu duschen und sich umzuziehen, holte sie das blaue Kleid aus dem Schrank.
Sobald Nathan sie darin erblickte, nickte er anerkennend, und zum ersten Mal seit Langem fühlte Libby sich hübsch.
Der Abend verlief so, wie sie es sich gewünscht hatte, ruhig und freundlich. Ohne beunruhigende Schwingungen, die sie hätten nervös machen können, während Nathan anschaulich von seiner Arbeit in Afrika erzählte.
„Warst du so stark eingebunden, dass du nie die Möglichkeit hattest, zu einem Urlaub nach Hause zu fahren?“, fragte sie irgendwann.
Es entstand eine kurze Pause, in der er an die qualvollen Augenblicke dachte, als er damals in dem Kirchenvorraum stand und sich eingestehen musste, dass seine Reise umsonst gewesen war. Es war arrogant von ihm gewesen, nicht früher zu handeln. Weil er glaubte, Libby hätte trotz seiner harschen Abschiedsworte weiterhin Gefühle für ihn und würde auf ihn warten, bis er zur Vernunft gekommen war.
Aber nein, stattdessen hatte er impulsiv und selbstsüchtig gehandelt und seinen gerechten Lohn dafür erhalten.
Wenn er jetzt zugab, dass er doch einmal zu Hause gewesen war, was würde das bringen? Sie hatte ihn früher geliebt, aber das war vorbei. Und den heutigen Abend verbrachten sie hier friedlich als Freunde. Warum sollte er ihnen das verderben?
„Ja“, antwortete er daher, wobei er ihren Blick vermied. „Der Druck war immer zu groß, um sich freizunehmen.“
Als sie im Begriff waren, das Hotel zu verlassen und er Libby in den warmen Mantel half, fragte Nathan: „Sollen wir vielleicht noch einen kleinen Spaziergang am See machen?“
„Ja, wenn du willst.“
An diesem Abend war Greystone House, das Anwesen auf der Insel, mit Flutlicht angestrahlt, wodurch das Wasser ringsum funkelte wie mit Diamanten übersät. Nathan nahm Libbys Hand, und sie ließ es geschehen.
„Was ist das für ein Haus?“ Er schaute hinüber zur Insel. „Ich erinnere mich noch von früher daran, aber ich habe nie gewusst, wofür es genutzt wurde.“
„Keine Ahnung“, erwiderte Libby. „Aber jetzt ist es ein sehr beliebtes Ferienhaus. Allerdings bin ich nicht sicher, welche Art von Komfort wie Strom, Heizung und Wasser es bietet. Aber für jemanden, der Ruhe und Einsamkeit sucht, ist es perfekt. Es gehört einem einheimischen Geschäftsmann, der es vermietet, wenn seine Familie es nicht braucht.“
Falls sie ihm sagte, dass sie demnächst selbst eine Woche dort verbringen würde, würde er sie vermutlich für verrückt halten. Doch es bot ihr die Gelegenheit, allein zu sein und trotzdem nicht weit entfernt von all dem, was ihr am Herzen lag.
Jeder Moment, den sie friedlich mit Nathan verbrachte, war wunderschön. Aber es gab immer die Erinnerung an die Vergangenheit. Deshalb war Libby an dem Abend der Party zurückgeschreckt. Denn bis heute hatte es keine wahre Nähe zwischen ihnen gegeben.
Nathans Gedanken gingen in dieselbe Richtung. Nach der Party hatte er sie zu sehr gedrängt und dadurch alles ruiniert. Heute dagegen waren sie beide in einer anderen Stimmung.
„Gefällt es Toby am Fluss?“, erkundigte Libby sich auf dem Rückweg zum Parkplatz.
Nathan lächelte. „Ja. Ich kann gar nicht sagen, wer von beiden sich mehr darüber freut. Toby hält meinen Vater ordentlich auf Trab, aber ich muss darauf achten, dass Dad sich nicht übernimmt. Obwohl Toby nicht so anspruchsvoll ist wie viele andere Kinder. Und Dad meint, er muntert ihn auf.“
„Seitdem du sein Vormund geworden bist, musstest du viele Umstellungen in deinem Leben vornehmen, oder?“, meinte Libby.
„Ja, das stimmt. Bevor er kam, war ich es gewöhnt, vor allem das zu tun, was ich wollte. Jetzt stehen meine Bedürfnisse immer erst an zweiter Stelle. Toby scheint sich bei mir wohlzufühlen, aber er braucht auch eine weibliche Bezugsperson. Das heißt, ich sollte mir vermutlich eine Frau suchen.“
Behutsam versuchte er, ein bisschen vorzufühlen, ob
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