JULIA COLLECTION Band 12
auf den anderen. Sie hatte ihre Stiefel abgestreift, bevor sie die Treppe hinaufgestiegen war. Dylan und Ziggy hatten ihre ebenfalls ausgezogen. Dylan hatte ein Loch in der rechten weißen Sportsocke, und Ziggy trug welche, auf denen ein rotgrünes Rentier abgebildet war.
Als Abigail sah, wie Dylan die Kommode betrachtete, die Ziggy in Great Falls für sie angefertigt hatte, fiel ihr auf, dass ein Zipfel ihres pinkfarbenen Nachthemdes aus einer halb offenen Schublade heraushing. Abigail schlenderte lässig hin, schob das Nachthemd ganz hinein und schloss die Schublade.
„Ich habe gerade eine Wette gewonnen.“ Dylans Augen glänzten. „Ich habe mit mir selbst gewettet, dass du innerhalb von zehn Sekunden aufräumen würdest, sobald du es bemerkst.“
„Du siehst viel zu viel“, erwiderte Abigail.
„Wenn es um dich geht, gibt es kein ‚Zuviel‘.“
Abigail versuchte sich eine kluge, witzige Erwiderung darauf einfallen zu lassen, aber ohne jeden Erfolg.
Dylan merkte offenbar, wie unbehaglich sie sich fühlte. „Mir gefällt das Foto von den Espen über deinem Bett“, wechselte er das Thema.
Darauf konnte sie auf vernünftige Weise reagieren. „Danke. Ich habe das vor einigen Jahren in Colorado gemacht, aber es erinnert mich an die Bäume hinten im Wald. Wusstest du, dass der gesamte Hain abstirbt, wenn man eine Espe fällt? Deshalb ist es auch so dumm, etwas in die Rinde zu schnitzen.“
„Du meinst wie ‚Dylan und Abbie‘ mit einem Herz drum herum?“, erkundigte er sich in unschuldigem Ton.
Abigail konnte einfach nicht widerstehen. Sie musste Dylan in die Augen sehen.
„Ich benutze kein Espenholz für meine Arbeit“, verkündete Ziggy und erinnerte sie damit an seine Anwesenheit. „Kiefer ist gut, wenn man sie auf die richtige Weise behandelt.“ Er strich liebevoll über das knotige Holz. „Ich habe Leinsamenöl verwendet. Seht ihr, wie es glänzt?“
Dylan sah wirklich etwas glänzen, aber das waren Abbies blaue Augen. Er hatte darin bereits Hunger und Begierde erkannt, und nun war da dieser Glanz. All das zusammen genügte, um ihm Hoffnung zu verleihen.
Nach dem Dinner saß Abigail in ihrem Arbeitszimmer und versuchte zu bearbeiten, was sie am Tag zuvor geschrieben hatte, als sie plötzlich durch das offene Fenster Gitarrenklänge hörte. Schon nach wenigen Sätzen konnte sie nicht mehr widerstehen. Sie musste einfach aufstehen und nachsehen, wer da spielte.
Doch sie konnte von ihrem Fenster aus die überdachte Veranda nicht sehen. Nun erinnerte sie sich daran, dass sie das Kapitel an diesem Abend fertigbekommen musste, und kehrte pflichtbewusst an den Computer zurück. Aber die faszinierende Musik erklang weiter.
Es dauerte eine Viertelstunde, bis Abigail aufgab. Sie redete sich ein, dass sie ein kaltes Getränk brauchte. So hatte sie einen Grund, nach unten zu gehen. Nachdem sie sich eine Flasche Kiwi-Erdbeer-Saft aus dem Kühlschrank genommen hatte, schlenderte sie nach draußen.
Zuerst sah sie die Stiefel auf dem Geländer. Genau diese Stiefel hatte sie auch gesehen, direkt nachdem sie vom Zaun gefallen und im Schlamm gelandet war. Inzwischen war sie wieder sauber und trug einen Rock mit Blumenmuster und ein pinkfarbenes Oberteil. In diesem Aufzug fühlte sie sich sehr weiblich, und deshalb arbeitete sie gern darin. Die Tatsache, dass sie damit auch hübsch aussah, war weniger von Bedeutung, verlieh ihr aber doch Selbstbewusstsein, als sie Dylan nun in die Augen blickte.
Sein Publikum bestand ansonsten nur aus der orangefarbenen Katze, die in der Scheune lebte. Sie hockte nicht weit von Dylans Füßen entfernt auf dem Geländer.
„Scheint, als hättest du eine Freundin gewonnen.“ Abigail setzte sich in den zweiten Schaukelstuhl und nahm sich vor, so bald wie möglich die Hollywoodschaukel in Ordnung zu bringen. „Diese Katze hält sich von mir immer fern, aber dich mag sie offenbar.“
„Ich kann gut mit Tieren umgehen“, erklärte Dylan bescheiden.
„Das überrascht mich nicht. Was mich aber schon verblüfft, ist, dass du diese Gitarre spielst.“ Sie deutete auf das schäbige Instrument, das sie im Schrank der Hütte des Verwalters entdeckt hatte. Da sie selbst kein Talent dafür besaß, hatte sie den Gitarrenkasten einfach dort gelassen für den Fall, dass der Besitzer irgendwann zurückkam.
„Du kannst nicht verblüffter sein als ich selbst“, antwortete Dylan.
„Was meinst du damit?“
„Ich hatte früher nie Talent für Musik. Als ich noch ein Junge war,
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