JULIA COLLECTION Band 14
Ethan lächelte, und für einen Moment glaubte sie, den Mann vor sich zu haben, in den sie sich verliebt hatte.
Aber er ist es nicht, ermahnte sie sich. Dieser Mann ist ein Fremder, ein Lügner. Leider war sie selbst nicht davon überzeugt.
„Nett, dich kennenzulernen, Angie.“
Es war das erste Mal, dass er sie mit ihrem Namen anredete, statt mit ihrem Spitznamen, den er ihr gegeben hatte, als er noch ein Krimineller gewesen war. Seltsamerweise war sie darüber ein wenig enttäuscht. Sie konnte es sich selbst nicht erklären, da sie es nie hatte leiden können, wenn man sie Angel nannte. Dass er sie jetzt Angie nannte, bestärkte sie nur in der Auffassung, er sei nicht der, für den sie ihn gehalten hatte.
Aber ist das wirklich so schlimm?, fragte sie sich. Ja, das ist es eindeutig, gab sie sich umgehend die Antwort. Denn es bedeutet, dass er dich seit eurer ersten Begegnung belogen hat. Allerdings bedeutete es auch, dass er kein Krimineller war. Er gehörte nicht zu den Bösen. Doch Gut und Böse waren relative Begriffe. Oder? Nein, nicht unbedingt. Nicht in diesem Fall.
Angie schüttelte über diese merkwürdig widersprüchlichen Gedanken den Kopf und versuchte, sich wieder auf die jetzige Situation zu konzentrieren. Und die war nun einmal, dass sie den Mann, in den sie sich verliebt zu haben glaubte, nicht kannte.
„Also, Angie“, sagte er, nachdem er noch einmal an seinem Drink genippt hatte. „Erzähl mir ein bisschen über dich.“
Sie seufzte halbherzig. „Was gibt es da zu erzählen?“
„Bist du hier aufgewachsen?“
Der Akzent des südlichen Philadelphia, den er als vermeintlicher Gangster benutzt hatte, mischte sich noch immer in seine Redeweise. Darüber musste Angie lächeln. „Ja, ich wuchs hier in Endicott auf“, berichtete sie und fragte sich, weshalb sie sich auf dieses Spiel überhaupt einließ. Er blieb ein Lügner, und nichts würde an dieser Tatsache etwas ändern.
Ethan nickte. „Ich bin in Philadelphia aufgewachsen. Im Süden. Tolle Gegend. Es würde dir dort gefallen.“
Sie zuckte verlegen die Schultern. „Mir gefällt es hier.“ Verblüfft stellte sie fest, wie wahr diese Worte waren. In all diesen Jahren hatte sie Endicott verflucht, weil es so verschlafen und langweilig war. All die Jahre hatte sie sich danach gesehnt, dass hier etwas Aufregendes geschah. Jetzt, wo sie mit reichlich Aufregung konfrontiert worden war, fand sie „verschlafen und langweilig“ gar nicht mehr so schlecht.
„Na schön“, sagte Ethan, da sie schwieg. „Ich gebe zu, ihr habt eine nette Gemeinde hier, trotz des kleinen Mafia-Problems. Aber daran arbeiten wir ja.“ Er neigte nachdenklich den Kopf. „Alles in allem wäre das gar kein so schlechter Ort, um sich niederzulassen und eine Familie zu gründen. Natürlich erst, sobald wir die Mafia losgeworden sind.“
Stück für Stück schwand Angies Ablehnung gegenüber diesem Mann, sosehr sie sie auch aufrechtzuerhalten versuchte. „Bist du sicher, dass du diese Verbrecher aus der Stadt jagen kannst?“, wollte sie wissen.
„Verlass dich drauf.“
„Und wenn du es geschafft hast, wirst du bestimmt abreisen und nach Philadelphia zurückkehren, oder?“
Er musterte sie einen Moment schweigend und schüttelte dann den Kopf. „Nicht unbedingt.“
Ein warmes, sehnsuchtsvolles Gefühl stieg in ihr auf, das sie sofort zu verdrängen versuchte. „Warum um alles in der Welt solltest du an einem Ort wie diesem bleiben wollen?“
Er zuckte die Schultern. „Und du?“
„Ich lebe hier“, erwiderte sie. „Ich bin hier aufgewachsen. Meine Familie lebt hier. Endicott ist mein Zuhause. Ich gehöre hierher.“
„Vielleicht gehöre ich ja auch hierher.“
Sie dachte darüber nach. Ethan in Endicott, ein Mitglied der Gemeinde, statt eine Bedrohung für sie. Das war eine interessante Vorstellung. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann zuletzt ein Fremder in die Stadt gekommen war, um zu bleiben. Endicott war ein netter Ort, aber deswegen zogen die Leute noch lange nicht scharenweise her.
Das spielt auch keine Rolle, sagte sie sich. Denn was immer Ethan auch sagte oder tat, war bedeutungslos, da er nicht der war, für den sie ihn gehalten hatte. Er war nicht der Mann, in den sie sich verliebt hatte. Er war ein Fremder. Ein Fremder, mit dem sie Dinge getan hatte, die für sie unter normalen Umständen undenkbar gewesen wären. Bei der Erinnerung daran errötete sie. Und schuld an der ganzen Situation war ein Komet, der gerade
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