Julia Collection Band 26
Traum war er direkt auf Reid zugekommen und hatte gesagt: „Du bist ein verdammter Narr, Sohn.“
Die Vision war so klar gewesen, die Stimme so real, dass Reid fast erwartete, ihn neben sich zu sehen, so groß und stark wie immer.
Er brauchte ein paar Sekunden, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. In Wirklichkeit lag er in seinem Schlafsack auf dem Sandboden einer Höhle in den Bergen. Allein.
Ihm war kalt, und er sah, dass sein Feuer fast ausgegangen war. Als er in die letzte verglühende Asche blickte, wollte ihn sein Traum einfach nicht loslassen.
„Ich bin verdammt wütend auf dich, Sohn“, hatte Cob gesagt. „Seit neunundzwanzig Jahren bemühe ich mich jetzt, aus dir einen Mann zu machen. Aber das scheint in deinen Augen nicht zu zählen.“
Stirnrunzelnd dachte Reid über diese Worte nach. Was hatte der alte Mann damit gemeint? Kopfschüttelnd griff er nach einem Stock, um damit das Feuer zu schüren. Er versuchte, den Traum zu vergessen. Diese Worte waren nicht von Cob gekommen. Träume waren immer Botschaften des eigenen Unbewussten. Und sie ergaben nie einen Sinn.
Funken stoben in die Luft, als er in den glühenden Kohlen herumstocherte. Kurz danach schlugen die Flammen wieder hoch, und er legte noch etwas Holz nach. Bald schossen die Flammen in die Höhe und warfen orangefarbenes Licht gegen die Höhlenwände. Er dachte daran, sich einen Tee zu kochen, aber vielleicht war Rum ja besser, wenn er anschließend wieder einschlafen wollte.
In seiner Satteltasche befand sich ein kleiner Flachmann. Als Reid ihn gefunden hatte, trank er einen tiefen Schluck und registrierte mit distanziertem Interesse, wie die feurige Flüssigkeit ihn durchströmte. Er trank noch einen Schluck, ließ sich dann wieder auf seinen Schlafsack sinken und versuchte, sich zu entspannen und nicht mehr nachzudenken.
Aber die Worte aus seinem Traum kehrten zurück. Seit neunundzwanzig Jahren bemühe ich mich jetzt, aus dir einen Mann zu machen. Aber das scheint in deinen Augen nicht zu zählen.
Er stieß einen tiefen Seufzer aus, rollte sich auf die Seite und versuchte, nicht mehr daran zu denken. Leider hatte ihm der Traum über Cob nur eine kleine Atempause verliehen, denn sonst träumte er nur von Sarah.
Beim Schlafen oder Wachen wusste er, er würde nie von ihr frei sein. Nie würde er ihr hübsches Gesicht, ihre schönen Augen vergessen können und den Schmerz darin, nachdem er sie schließlich davon überzeugt hatte, dass es keine Hoffnung für sie gab.
Diese wunderschönen blauen Augen verfolgten ihn, klagten ihn an. Und jetzt klagte auch Cobs Stimme ihn an. Zur Hölle damit! Warum konnten sie ihn nicht in Ruhe lassen? Warum fühlte er sich noch immer so verdammt schuldbewusst? Er hatte Sarah gegenüber richtig gehandelt. Er hatte dafür gesorgt, dass die Sünden seines Vaters nicht an die nächste Generation weitergegeben wurden.
Wenn nur Cob … nein! Es hatte jetzt keinen Sinn, an dieses wenn nur zu denken. Das würde ihn nur verrückt machen.
Reid fluchte laut, und das raue Echo seiner Stimme hallte von den Wänden der Höhle wider. Er schnitt ein Gesicht, schloss die Augen und sah Cob erneut vor sich. Zählten diese neunundzwanzig Jahre wirklich nicht?
Er setzte sich aufrecht hin.
Plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. Zur Hölle! Wie hatte er das nur missverstehen können?
Vielleicht war Cob ja nicht sein biologischer Vater, aber er hatte ihn aufgezogen. Und das zählte, sehr viel sogar.
Seit neunundzwanzig Jahren bemühe ich mich jetzt schon, aus dir einen Mann zu machen …
Als Familienvorstand der McKinnons hatte Cob viel dafür getan, dass aus Kane und Reid Söhne wurden, auf die er stolz sein konnte. Für sie war er immer eine starke, mächtige Persönlichkeit gewesen, jemand, auf den die Jungen sich verlassen konnten – ein strenger, aber liebevoller Vater, der ihnen ein Vorbild war.
Cob hatte ihren Charakter geformt, hatte ihnen beigebracht, Richtig und Falsch zu unterscheiden. Von ihm hatten sie gelernt, was Loyalität, was so etwas Altmodisches wie Ehre und Selbstachtung bedeutete. Cob hatte Reids Denken und Handeln beeinflusst. Manche hatten sogar behauptet, er würde sich wie Cob bewegen.
Reid schob den Schlafsack zur Seite und sprang hoch. Plötzlich war ihm alles klar. Wie hatte er nur so blind sein können? Die schreckliche Vorstellung, einen Vergewaltiger zum Vater zu haben, hatte ihn traumatisiert. Und doch hatte er eine sehr stabile, glückliche
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