Julia Collection Band 26
erzählt.“
Sie sah die Schwestern an, die beide die Stirn runzelten. Aber sie fuhr fort: „Egal, wie sehr ich ihm versichere, dass ich ihn dennoch liebe, er will einfach nicht auf mich hören. Er ist ein unglaublicher Dickkopf. Reid denkt, er habe die Moral gepachtet und er tue mir einen großen Gefallen, wenn er mich freigibt.“
Jessie seufzte. „Vielleicht ändert er seine Haltung ja, wenn er die Wahrheit erfährt.“
Die Wahrheit? Sarah dachte angestrengt über diese Worte nach. Die Identität des Vergewaltigers zu erfahren würde Reid in dieser Situation gewiss nicht weiterhelfen. Sie bezweifelte, dass ihn überhaupt noch irgendetwas erreichen konnte.
„Wahrscheinlich würde er Ihnen gar nicht zuhören. Er gibt an allem, was passiert ist, sich selbst die Schuld. Ich kann nichts dagegen ausrichten. Immer, wenn ich versuche, ihm zu helfen, leidet er noch ein bisschen mehr.“ Sarahs Lippen bebten. „Mich macht das völlig fertig.“
Auch Jessie erhob sich. „Ich bin mir ganz sicher, dass Reid Sie liebt.“
Sarah kämpfte mit den Tränen, strich sich mit der Hand durchs Haar. Weine nicht. Wage es ja nicht, zu weinen. „Das ist ja das Problem. Ich habe mich jahrelang an diesen Glauben geklammert – und er liebt mich, ja. Aber inzwischen weiß ich, dass es nicht reicht, jemanden zu lieben.“
„Oh nein, meine Liebe, bestimmt irren Sie sich.“
Sarah schüttelte den Kopf. „Die Liebe ist nicht alles. Manchmal braucht es einfach mehr. Es braucht – ach, ich weiß es auch nicht –, manchmal muss man über seinen Schatten springen.“
Flora atmete hörbar ein.
„Tut mir leid, Jessie. Ich kann Ihnen nicht helfen.“
Reids Mutter sah sie lange an. Dann ließ sie die Schultern sinken, und ihr Blick verriet, dass sie sich geschlagen gab.
Inzwischen war es fast dunkel. Das gedämpfte Licht im Klassenzimmer unterstrich die Hoffnungslosigkeit der Unterredung noch. Die beiden Frauen wirkten beide so deprimiert, so furchtbar enttäuscht, dass Sarah plötzlich alarmiert war. Hatte sie irgendetwas verpasst? Als Jessie von der Wahrheit gesprochen hatte, was hatte sie damit gemeint?
Konnte es sein, dass sie einen großen Fehler machte? Ihre Gedanken überschlugen sich. Bot ihr das Schicksal eine letzte Chance?
„Was, um alles in der Welt, könnte ich Reid noch sagen, damit er seine Meinung ändert?“, fragte sie plötzlich. „Können Sie mir einen guten Grund nennen, warum ich zur Höhle reiten sollte?“
Zu ihrer Überraschung war es Flora, die antwortete.
Reids Tante lächelte sogar, wenngleich ein wenig kläglich, und ihre Augen schimmerten verdächtig. „Ich kann Ihnen mehr als einen guten Grund nennen, Sarah. Zwei Gründe sogar.“
„Zwei?“ Sarah war schockiert.
Flora nickte und holte noch einmal tief Luft. „Mein erster Grund ist der, dass ich Reids Mutter bin.“
Sarah sah sie erstaunt an. Sie hätte nicht verblüffter sein können, wenn Flora verkündet hätte, sie sei ein Wesen aus einer anderen Galaxie. Sie sah Jessie an, die verlegen lächelte und unmerklich nickte.
Flora fuhr fort: „Und der zweite Grund ist: Ich möchte, dass Reid die Wahrheit über seinen Vater erfährt.“
„Der Mann, der … der Sie vergewaltigt hat?“
Flora schüttelte den Kopf. „Ich wurde nicht vergewaltigt.“
„Aber Reid glaubt, dass Sie – du meine Güte, vielleicht sollten wir uns besser wieder hinsetzen.“
„Vielen Dank, meine Liebe. Ich möchte es Ihnen gern erklären.“
Sarah nickte. „Ja, natürlich.“ Sie durchquerte das Zimmer und knipste das Licht an, bevor sie wieder Platz nahmen.
Flora, die begierig darauf war, ihre Geschichte zu erzählen, legte sofort los. „Es war falsch von mir, so lange zu schweigen“, begann sie mit ihrem leicht singenden schottischen Akzent. „Ich könnte mich für das, was ich getan habe, entschuldigen, aber eigentlich will ich damit keine Zeit verschwenden. Die Wahrheit ist, Reid ist der Sohn von Cob McKinnon.“
„Du lieber Himmel!“ Sarah musste erneut Jessie anschauen, die steif dasaß und ihre wahren Gefühle hinter einem sanften Lächeln versteckte.
„Sehen Sie“, fuhr Flora fort, „ich habe Cob immer geliebt. Er hat auch eine Weile um mich geworben – bevor er Jessie kennenlernte.“ Sie und ihre Schwester tauschten einen beredten Blick aus. „Ich war sehr – ich mochte ihn sehr, aber er hat sich für Jessie entschieden. Ich bin nicht stolz auf das, was ich danach getan habe. Aber ich war deswegen so gekränkt, dass ich ein paar
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