Julia Collection Band 26
wohne bei Melissa Browne.
Es sah Annie gar nicht ähnlich, so ganz plötzlich zu verschwinden und ihre Brüder im Stich zu lassen. Natürlich verdiente die Kleine gelegentlich eine Reise in die Großstadt, aber sie wusste doch, dass ihre Brüder für die Zeit ihrer Abwesenheit eine andere Haushälterin finden mussten.
So aber hatte Kane mehrere Stunden verloren, weil er nach Mirrabrook gefahren war und jemanden gesucht hatte, der kurzfristig aushelfen konnte. Zu allem Überfluss hatte er niemanden finden können.
Zumindest hatte es keine ungefährlichen Frauen gegeben, also vernünftige Frauen, die nicht gleich von einem langen weißen Kleid und dem Jawort in der Kirche träumten, wenn sie auf der Southern Cross für die McKinnon-Brüder arbeiteten.
„Ich habe sie noch nie gesehen. Du vielleicht?“ Marsha sprach noch immer von der Frau, die soeben hereingekommen war. Dabei hörte sie sich so verdrossen an, wie Kane sich fühlte.
Er zuckte bloß die Schultern. Marsha sah in jeder Frau eine Konkurrenz. Vielleicht wurden deshalb ihre Shorts immer kürzer und ihr Ausschnitt immer tiefer. Das heutige Top hätte man glatt mit einem Pflaster verwechseln können.
Auch das ärgerte Kane. Auf keinen Fall sollten Frauen sich prüde geben, aber Marshas Geschmack in Sachen Kleidung und ihre Körpersprache deuteten auf schiere Verzweiflung hin. So etwas stieß ihn ab.
„Warum starrt sie dich an?“, zischte Marsha.
„Keine Ahnung.“ Kane seufzte und hoffte inständig, Marsha würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen und begreifen, dass er ihre Fragen lästig fand.
„Na, du wirst es gleich herausfinden.“
Marsha glitt vom Hocker und kam ihm so nahe, dass ihr Busen ihn berührte. Jetzt endlich drehte Kane sich um, weil er nun doch sehen wollte, warum sie ein solches Theater machte.
Wow!
Sämtliche sonnengebräunten und Jeans tragenden Stammgäste des Pubs von Mirrabrook starrten den Neuankömmling an, und der Grund dafür lag auf der Hand.
Es fing damit an, dass die Frau ein Kleid trug, ein weiches, sommerlich luftiges und knielanges Kleid in Zitronengelb. Die Haut war weiß wie Milch, und das lange, gewellte Haar ließ Kane an die Farbe eines teuren Brandys denken.
In dieser Kneipe mit leeren Biergläsern, Hockern an hohen Tischen, einem Pooltisch und rauen Outbacktypen wirkte die junge Frau, als wäre sie direkt aus einem altmodischen, romantischen Liebesfilm auf den falschen Set geraten.
Überraschenderweise kam sie direkt auf Kane zu und hielt den Blick aus den grünen Augen zielsicher auf ihn gerichtet. Sofort dachte Kane an Johanna von Orleans, die gegen die Briten in den Kampf zog. Das war eine Frau auf einer Mission.
Nur mit Mühe hielt er sich davon ab, vom Hocker zu rutschen und Haltung anzunehmen. Die rechte Hand, die vom beschlagenen Bierglas feucht war, wischte er verstohlen an der Jeans ab.
„Kane McKinnon?“, fragte sie, blieb vor ihm stehen, nickte Marsha flüchtig zu und reichte ihm die schmale Hand. „Ich bin Charity Denham. Sie kennen meinen Bruder Tim.“
Tim Denhams Schwester! Na, das war vielleicht eine Überraschung. Kane achtete sorgfältig darauf, sich nicht zu verraten, obwohl sie ihn aufmerksam musterte. Ihrem Bruder sah sie zwar nicht sonderlich ähnlich, hatte aber den gleichen gepflegten britischen Akzent.
„Tim Denham?“, erwiderte er. „Sicher kenne ich den.“
Sie gaben sich die Hand.
„Meines Wissens arbeitete Tim für Sie auf der Southern Cross Farm“, fuhr sie fort.
„Richtig. Er war bei einem unserer Teams. Wollen Sie hier Urlaub machen?“
„Nein.“
Sie senkte den Blick und presste die Lippen zusammen, als würde es ihr schwerfallen, weiterzusprechen. Also war der schwungvolle Auftritt nur Fassade gewesen. Dann sah sie ihn wieder an. Ihre Augen hatten das dunkle Grün junger Eukalyptusbaumblätter. Ihre Haut war zart und hell, fast durchscheinend.
„Ich suche meinen Bruder“, erklärte Charity Denham.
„Aus einem bestimmten Grund?“
Die Frage überraschte sie eindeutig, als wäre die Antwort so deutlich erkennbar wie Marshas Dekolleté. „Tim ist verschollen. Mein Vater und ich haben seit über einem Monat nichts mehr von ihm gehört.“
Neben Kane stieß Marsha ein kurzes Lachen aus. „Ein Monat ist doch gar nichts. Tim Denham ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Der hat es nicht nötig, dass seine Schwester um die halbe Welt düst und sich um ihn kümmert.“
„Das ist Marsha“, warf Kane ein.
Die beiden Frauen lächelten
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